Volto Santo und das Mandylion von Genua

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I. Die Abgarlegende als Reliefs auf dem Rahmen des Mandylions von Genua

 

Hannan versucht,
Jesus zu malen.

 

Abgar übergibt Hannan den Brief an Jesus.
 

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Hannan übergibt Jesus den Brief.

Das heidnische Bild stürzt von der Säule, als das Bild Jesu aufgestellt war.

Jesus übergibt Hannan das wunderbar entstandene Bild von sich.

Der Bischof versteckt das Bild in der Mauer.

Hannan überreicht Abgar das Bild, durch das er gesund wird.

Der Bischof entdeckt den Ziegelabdruck des Bildes

Heilungswunder in Konstantinopel durch das Bild.

 

Der Bischof vernichtet die Perser(544)
im Feuer, in das Öl vom Bild floss.

 

Die älteste Erwähnung eines Christusbildes findet sich in der Doctrina Adai, 4. oder 5. Jh. (vgl. Illert, S. 132ff). Dort heißt es: "Als Hannan, der Archivar, sah, dass Jesus so zu ihm sprach, malte er kraft seiner Befähigung als königlicher Maler das Bild Jesu mit erlesenen Farben und brachte es mit sich zu König Abgar, seinem Herrn. Dieser schaute es an, nahm es in großer Freude entgegen und stellte es in großer Pracht in einem seiner Palastgebäude auf" (Illert, S. 135f). Evagrius identifizierte (um 594) dieses Bild mit dem um 540 in der Stadtmauer gefundenen Bild Jesu und schreibt: "Als sie keinen Rat mehr wussten, brachten sie das von Gott erschaffene Bild herbei, das nicht von Menschenhand gemacht wurde, sondern das Christus, unser Gott, dem Abgar schickte, als dieser ihn zu sehen begehrte" (Illert, S. 241). Nachdem diese irrtümliche Identifizierung erfolgt war und das vorliegende Bild Jesu "nicht von Menschenhand gemacht" sein kann, musste man die Entstehung des Abgarbildes auch als wunderbar erklären. Und so heißt es dann in den Thaddäusakten (um 630) dazu: "Abgar beauftragte Ananias, Christus sorgfältig zu erkunden, was für ein Aussehen er habe, sein Alter und seine Haare und einfach alles. Ananias ging weg und übergab den Brief. Er blickte Christus sorgfältig an, doch vermochte er ihn nicht zu erfassen. Er (Christus) aber, ein Kenner der Herzen, erkannte dies und er äußerte seinen Wunsch, sich zu waschen und man gab ihm ein viereckiges Leinentuch. Und er wusch sich und wischte sein Antlitz ab. Als sein Bild dem Tuch aufgeprägt war, gab er es Ananias…"(Illert, S. 247).
Dies ist nun offenkundig eine nachträglich erfundene (legendäre) Erklärung für die wunderbare Entstehung des Abgarbildes. Ob es einmal ein solches gab, lässt sich historisch nicht belegen. Wenn, dann ist es von (Hannan) zu Lebzeiten Jesu gemalt und hat mit dem Volto Santo nichts zu tun.

II. Die Erklärung der Reliefs durch die Abgarlegende

Die Reliefs auf dem Rahmen des Mandylions von Genua illustrieren die Abgarlegende, wie sie in den sog. Thaddäusakten (um 630), der "narratio imagine edessena" (um 940) und in der "altrussischen Lukaslegende" (12. Jh.) berichtet wird:

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1. König ergibt Ananias einen Brief an Jesus (links oben)
"Zu dieser Zeit lebte ein Territorialherrscher von Edessa mit Namen Abgar. Als die Kunde von Christus ausging, von den Wundern, die er tat und von seiner Lehre, hörte Abgar das, staunte und begehrte Christus zu sehen, doch konnte er seine Stadt und seine Herrschaft nicht verlassen. In den Tagen des Leidens und zur Zeit der Anschläge der Juden schickte Abgar, der von einer unheilbaren Krankheit befallen war, Christus einen Brief durch Ananias den Schnellläufer" (Illert, S. 245, Thaddäusakten).

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2. Ananias übergibt Jesus den Brief (rechts oben)
"Abgar beauftragte Ananias, Christus sorgfältig zu erkunden, was für ein Aussehen er habe, sein Alter und seine Haare und einfach alles. Ananias ging weg und übergab den Brief" (Illert, S. 247, Thaddäusakten).

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3. Ananias versucht, ein Bild von Jesus zu malen (oben Mitte)
"Er blickte Christus sorgfältig an, doch vermochte er ihn nicht zu erfassen" (Illert, S. 247, Thaddäusakten).

Um vieles erweitert erzählt die "altrussische Lukaslegende" diese Szene (Illert. S. 323).

Noch mehr dazu im Abgarbrief (Illert, S. 317).

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4. Jesus übergibt Ananias das wunderbar entstandene Bild (2. von oben rechts)
"Er (Christus) aber, ein Kenner der Herzen, erkannte dies und er äußerte seinen Wunsch, sich zu waschen und man gab ihm ein viereckiges Leinentuch. Und er wusch sich und wischte sein Antlitz ab. Als sein Bild dem Tuch aufgeprägt war, gab er es Ananias und sagte: Übergib es und überbringe dem, der dich gesandt hat: Deshalb bin ich gekommen, um für die Welt zu leiden und aufzuerstehen und die Vorväter aufzuerwecken. Nachdem ich in den Himmel aufgenommen sein werde, werde ich dir meinen Jünger Thaddäus senden, der dich erleuchten und zur ganzen Wahrheit führen wird, dich und deine Stadt" (Illert, S. 247, Thaddäusakten).

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5. Ananias übergibt das Tuchbild (3. von oben rechts)
"Er (Abgar) aber empfing Ananias und fiel nieder und verehrte das Bild kniefällig; bevor Thaddäus gekommen war, wurde Abgar von seiner Krankheit geheilt" (Illert, S. 247, Thaddäusakten).
"Als Abgar das Schweißtuch und das Bild Jesu Christi auf dem Leinentuch sah, … sprang er aus dem Bett auf. Er war gesund zur selben Stunde am ganzen Körper, so als wäre er niemals krank gewesen" (Illert, S. 325, Altrussische Lukaslegende, 12. Jh.).

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6. Das Götzenbild stürzt von der Säule (2. von oben links)
"Thaddäus und Abgar zerstörten die Götzenbilder und gründeten Kirchen." (Illert, S. 249, Thaddäusakten)
"Seit dieser Zeit verehrte der Territorialherrscher auf jede mögliche Weise fromm das Ebenbild der Gestalt des Herrn und fügte dies den anderen (Taten) hinzu: Bereits bei den früheren Bürgern von Edessa und bei seinen berühmten Einwohnern war vor dem Haupttor der Stadt eine Weihestatue eines heidnischen Gottes aufgestellt. Vor dieser musste ein jeder niederfallen, der die Stadt betreten wollte, und die üblichen Gebete verrichten und so die Wege und Strassen der Stadt betreten. Diese (Weihestatue) ließ Abgar damals niederreißen und entfernen. An den Ort, an dem sie gestanden hatte, stellte er das nicht von Händen gemachte Bild unseres Herrn Jesus Christus, das er an einer Tafel befestigt und mit dem jetzt noch sichtbaren Gold verziert hatte …" (Illert, S. 283, "narratio de imagine edessena", "altrussische Lukaslegende", Illert S. 325f).

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7. Der Bischof versteckt das Bild in der Stadtmauer. (3. von oben links)
"Aber ihr Sohn und Enkel, der Erbe der großväterlichen und väterlichen Herrschaft, erbte nicht ihre Frömmigkeit. … Deshalb leistete er den Dämonen auch gewissermaßen die Entschädigung und beschloss, da sein Großvater jenes Götzenbild entfernt hatte, dieselbe Strafe auch dem Bild des Herrn zuteil werden zu lassen. Jedoch fing der listige Mann seine Beute nicht. Der Ortsbischof erkannte dies im Voraus und traf die nötige Vorsorge. Und weil die Stelle, an der sich das Bild befand, das Aussehen eines halbrunden Zylinders hatte, entzündete er seinen Leuchter vor dem Bild und legte einen Ziegel darauf (auf das Bild), dann verschloss er die Fläche von außen mit Mörtel und Backsteinen und gab der Mauer ein glattes Aussehen. Weil er (der Nachfolger) die verhasste Gestalt nicht sah, enthielt sich jener Frevler des Zugriffs" (Illert S. 283f, "narratio de imagine edessina", "altrussische Lukaslegende", Illert S. 326).

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8. Der Bischof findet das Bild in der Stadtmauer (s. links unten)
"Die Leute, die sich in der Stadt befanden, verfielen in Ratlosigkeit (bei der Belagerung 544 durch die Perser) und äußerten Verzweiflung und nahmen bei Gott Zuflucht, den sie mit von Herzen kommenden Seufzern und Tränen angingen. Da erschien dem Bischof Eulalius des Nachts eine Frau von überirdischer Eleganz und Schönheit, die ihm gebot, das nicht von Menschenhand gemachte Bild Christi zu nehmen und mit ihm ein Gebet zu verrichten. Dann werde der Herr auf jeden Fall seine Wunder zeigen. Der Bischof sagte, er wisse gar nicht, ob sich ein derartiges Bild überhaupt bei den Edessenern oder an irgendeinem anderen Ort befände. Da sagte ihm die in Frauengestalt Erschienene: Ein derartiges Bild ist über dem Stadttor an der folgenden Stelle in der folgenden Weise verborgen. Also kam der Bischof in der Frühe, im Vertrauen auf die deutliche Vision betend zu dem Ort, durchsuchte ihn und fand dieses göttliche Bild unberührt und unzerstört zusammen mit dem Leuchter, der über so viele Jahre hinweg nicht erloschen war und auf einem Ziegel, der zum Schutz vor die Lampe gestellt war, eine weiteres Ebenbild des Ebenbildes aufgeprägt, das bis heute in Edessa aufbewahrt wird" (Illert, S. 287, "narratio de imagine edessina", ähnlich in der "altrussischen Lukaslegende", Illert S. 326).

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9. Der Bischof vernichtet die Perser (s. unten Mitte)
"Der Bischof nahm also das göttliche Abbild des Gottmenschen Christus in seine Hände und ging mit gestärktem Vertrauen an jenen Ort, an dem die Perser gruben und durch das Geräusch der Kupfergeräte bemerkt worden waren. Die Einwohner der Stadt begannen von innen zu graben und als sie einander nahe kamen, tropften sie Öl von jener Leuchte in das gegen ihre Feinde vorbereitete Feuer und warfen es gegen die Perser, die im Tunnel waren und töteten sie alle. Als sie sich des dortigen Anschlags erwehrt hatten, gingen sie in ähnlicher Weise gegen die Belagerungsmaschinen vor der Mauer vor, steckten sie haufenweise in Brand und vernichteten viele Feinde, die auf ihnen standen… Darüber hinaus hatte die Kraft des ihnen verbündeten Bildes dafür gesorgt, dass sich der draußen von den Persern gegen die Bewohner der Stadt angezündete Scheiterhaufen, … gegen sie selbst (Perser) richtete. Als Eulalius, der mit seinen eigenen Händen diese (Ikone) oben auf der Mauer entfaltete und um die Stadt herumging, an diesen Ort kam, erhob sich plötzlich ein starker Wind, wendete die Flammen gegen diejenigen, die den Scheiterhaufen am Brennen hielten, und verfolgte und verbrannte sie, so wie einst die Chaldäer" (Illert, S. 287f, "narratio..", ähnlich in der altruss. Lukaslegende, Illert, S. 326f).

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10. Ankunft des Bildes in Konstantinopel (rechts unten)
"Dann segelten sie dicht an der Stadt entlang, damit sie (die Lade) gewissermaßen der Stadt durch den Weg auf dem Meer Leben verleihe, und legten außerhalb der Westmauer der Stadt an" (Illert, S. 305, "narratio de imagine edessina").

Quelle: Die Texte der Abgarlegende wurden zitiert nach: Dr. Martin Illert,
"Die Abgarlegende, Das Christusbild von Edessa" BREPOLS Verlag 2007

Zusammenfassend kann man sagen:

Die Reliefs auf dem Rahmen des Mandylions von Genua illustrieren die sog. Abgarlegende, wie sie in den Thaddäusakten (um 630) und in der "narratio de imagine edessina" (um 944) erzählt wird. Der Kunsthistoriker G. Wolf zählt den Rahmen des Mandylions von Genua "zu den kostbarsten und qualitätvollsten Werken der paläologischen Goldschmiedekunst des 14. Jahrhunderts" (Wolf, Bildkonzepte und Bildpraktiken, S. 19). Über das Alter des Bildes schreibt er: "… im Kern handelt es sich um eine kaum zu datierende Kopie (Leinwand auf Holz) des der Legende nach nicht von Menschenhand geschaffenen Christusbildes "Mandylion" (S. 19).

 

Das Gemälde aber scheint offenkundig nach dem Vorbild des heutigen Volto Santo von Manoppello gemalt zu sein, wie die Bilder unten anschaulich machen. Dass dieses heute noch vorhandene Tuchbild in Manoppello auch nach wissenschaftlichen Untersuchungen wirklich "nicht von Menschen gemacht" sein kann, scheint Prof. Wolf noch nicht zu wissen, wenn er diese wunderbare Entstehungsweise als Legende bezeichnet. Ob das Gemälde bereits um 550 angefertigt wurde, nachdem man das Urbild 525 oder 540 in der Stadtmauer von Edessa gefunden hatte, wird man nicht mehr belegen können. Denkbar ist es aber.

Das Mandylion von Genua dokumentiert jedenfalls bildlich die Entstehung der Abgarlegende. Das Gemälde ist eine Kopie des noch in Manoppello vorhandenen "nicht von Menschenhand gemachten" Edessabildes. Die Reliefs aber illustrieren die legendäre wunderbare Entstehung des sog. Abgarbildes, das Jesus durch den Boten Ananias dem König Abgar bringen ließ. Nach der Doctrina Addai (4. oder 5. Jh.) hat jedoch der Bote Hannan das Bild gemalt und Abgar gebracht. Da der Geschichtsschreiber Evagrius 594 schreibt, dass das in der Stadtmauer von Edessa aufgefundene "von Gott erschaffene Bild" jenes sei, "das Christus, unser Gott, dem Abgar schickte, als dieser ihn zu sehen begehrte", und weil das vorhandene offensichtlich "nicht von Menschenhand gemacht" ist, musste jenes Abgarbild auch auf wunderbare Weise entstanden sein. Und so wurde erstmals in den Thaddäusakten die wunderbare Entstehung durch Christus (s. Bild Nr.4) legendär erfunden und weitertradiert. Warum man die beiden in Edessa gefunden Tuchbilder mit dem Abgarbild identifizierte und nicht mit den Tüchern im leeren Grab (Joh. 20, 5ff), bleibt ein Geheimnis.

Volto Santo Mandylion von Genua_2
 
Volto Santo und das Mandylion von Genua_1
 
Volto Santo und das Mandylion von Genua_3
 
Volto Santo und das Mandylion von Genua_4

Mandylion von
Genua mit Relief

 

Mandylion von
Genua

 

Volto Santo von
Manoppello

 

Sopraposition von
Madylion und Volto Santo

Verfasser: Pfarrer Josef Läufer

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