Die Bestattung Jesu
Im Credo heißt es: "Gekreuzigt, gestorben und begraben .... am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten". Als wichtige Daten eines Menschen gelten ohne Zweifel sein Geburtsdatum und wann er gestorben ist. Von der erfolgten Bestattung aber wird in historischen Berichten eigentlich nie gesprochen.
Das ist eine Selbstverständlichkeit, die einfach nicht erwähnt wird. Warum wird in einem so kurzen Text wie dem des Apostolischen Glaubensbekenntnisses eigens die Tatsache der Bestattung erwähnt? Auch wird in den Evangelien, z.B. im kurzen Markusevangelium, bei ganz komprimiertem Text in wenigen Sätzen gleich zweimal von der Sindone gesprochen, von der ganz reinen Sindone, dem kostbaren Leinen, das eigens für die Bestattung Jesu gekauft wurde. Und im Johannesevangelium wird ausführlich über das Sudarium gesprochen, das über dem Kopf Jesu gelegen war und noch an derselben Stelle lag, nur in (noch) erhöhter Position im Gegensatz zu den liegenden übrigen Tüchern, so als wäre der Kopf noch darunter, ohne es tatsächlich zu sein. (Leider gibt die zur Zeit benutzte Einheitsübersetzung den Tatbestand in entstellter Weise wieder, weil niemand mehr um die noch existierenden Tücher weiß.) Die Entsprechungen zwischen den drei Hauptzeugen der Bestattung Jesu lassen mich zu folgender Schlussfolgerung kommen:
Die Bestattung erfolgte nach jüdischem Brauch. Sie wurde von zwei reichen Ratsherren ausgeführt bzw. geleitet, die sehr gut über diese Bräuche und Gesetze informiert waren.
Da das Blut nach hebräischem Verständnis heilig, weil Sitz des Lebens ist, durfte niemand direkt den verletzten und blutbedeckten Körper Jesu mit bloßen Händen berühren. Außerdem musste soweit möglich alles Blut und Blutbefleckte gerettet und mit bestattet werden. Dieses schwierige Unterfangen wurde wahrscheinlich so gelöst, dass man zunächst das Gesicht bedeckte und zwar mit dem Sudarium von Oviedo, das in zwei Lagen über das Antlitz gelegt wurde. Und zwar mit der gefalteten Seite zur rechten Schulter hin, auf der der Kopf auflag und die ein Umwickeln verhinderte. Dieses Schweißtuch wurde mit einem Knoten oben befestigt. Darüber zog man wahrscheinlich die noch existierende so genannte Heilige Haube, die sich in Cahors in Frankreich befindet, eine Art Mütze aus 8-10 Lagen Mullstoff, um das aus den Dornstichen heraus geflossene Blut aufzusaugen, und die, unter dem Kinn geschlossen, dieses in etwa halten sollte. Dem im Schrei gestorbenen Herrn konnte aber der geöffnete Mund nicht mehr geschlossen werden. Das zeigen alle drei Tücher sehr deutlich. Um nun zu verhindern, dass das in der Lunge gesammelte Serum und Blut, das bei Erstickten nach dem Tod durch das Bewegen des Körpers aus Nase und Mund austritt, sich frei über das Gesicht verbreitet, hielt eine Hand während der ganzen Arbeit der Abnahme vom Kreuz und der weiteren Bestattungsvorbereitung das Schweißtuch gegen Nase und Mund gepresst. Die Sindone, oder eine zweite, nicht mehr erhaltene, umhüllte dann den ganzen Körper und zusammen mit 30 Kilo einer viskosen Mischung aus diversen Aromastoffen wurde der Leichnam mit Hilfe von breiten Binden eingewickelt und die Hülle des Toten geschlossen. Man wird wie bei jedem Verband am Ende auch auf Schönheit geachtet haben und hat möglicherweise noch das riesengroße Sudarium von Cornelimünster bei Aachen (etwa 6,50 x 3,50 m!), das wie der Schleier von Manoppello aus syrischem Byssus sein soll, um den ganzen Leichnam herumgelegt. Als letzte Liebesgabe für den toten Herrn wurde das Angesicht mit dem kleinen, kostbaren Schleiertuch bedeckt. Um es zu fixieren, wurden sehr wahrscheinlich eine Art Fäden benutzt, da man in allen drei Tüchern, die das Antlitz bedeckten, horizontale, gefältelte Linien oder Streifen erkennen kann: im Nasenbereich und quer über die Stirn.
Die Mutter Jesu hat meines Erachtens erst ab diesem Moment über ihren toten Jesus weinen dürfen. Und es war wohl auch sie, die Ihm dieses letzte Tüchlein aufgelegt hat, ob sie es nun selbst bei sich hatte, oder eine andere der Frauen es ihr zur Verfügung stellte. Ist es denkbar, dass ein so liebevoller Sohn nicht ein besonderes Zeichen für seine Mutter zurücklässt? Nach einer georgischen Tradition aus dem VI. Jahrhundert bewahrte Maria nach der Himmelfahrt ein Schleierluch mit dem Abbild ihres Sohnes auf, und wenn sie das "schöne Antlitz ihres Sohnes" betrachten wollte, breitete sie diesen Schleier vor sich gegen Osten hin aus, zündete davor Lichter an und betete die ganze Nacht. Der Schleier von Manoppello ist für mich dieses "schöne Antlitz ihres Sohnes". Auch der Lieblingsjünger Johannes hat am Ostermorgen im Grab etwas gesehen, was ihn im Augenblick zum Glauben an die Auferstehung bewegte: Die Tücher, unberührt, in einer besonderen Position, und sehr wahrscheinlich dieses "schöne Antlitz ihres Sohnes'', auf wunderbare Weise im Schleiertuch festgehalten. Johannes schreibt, dass es "nicht mit den anderen Tüchern liegend war'', sondern "für sich allein", an der Stelle, "wo der Kopf Jesu gelegen" hatte, "die einhüllende Position" bewahrte.
Der Tatbestand exakter Entsprechungen nun zwischen Oviedo und Manoppello erhärtet die Vermutung, dass das Sudarium im Gegensatz zur Darstellung der Sindonologen von Oviedo um das Haupt Jesu gewickelt blieb auch im Grab, und zwar unter den anderen Tüchern, als erstes der nach jüdischem Brauch verwendeten Schweißtücher. Mit Blut und Serum durchtränkt und getrocknet wirkte es an der Stelle des Kopfes wie Steifleinen oder wie Papier, das die runde Form des Kopfes behalten hatte, auch als dieser nicht mehr tragend unter den Tüchern lag. Beim langen Teil des Körpers hingegen senkten sich die getrockneten Tücher auf Grund der Schweregesetze in dem Augenblick, als sich der tote Körper des Herrn in der Auferstehung verklärte und materiell aus seiner Hülle verschwand, ohne diese im Geringsten anzutasten, wie die Blutspuren in der Sindone und in Oviedo beweisen: Der Körper hat sich "gewaltlos" aus ihnen befreit, ohne irgendwelche Ablösungsspuren darin zu hinterlassen. Der verklärte Leib ist wie ein Schmetterling aus seinem Kokon entschwunden und hat ihn unversehrt zurückgelassen. Der Schleier aber, der über Seinem Haupt gelegen war, der diesen wunderbaren Augenblick der menschlichen Geschichte gesehen hat, und über dem die Mutter geweint hat, behielt eine bleibende Erinnerung an das Angesicht Jesu, das ihn in wunderbarer Weise "durchleuchtet" hatte: Den ersten Blick bei Seinem Erwachen nach dem Tod, nach all dem Leid und der Finsternis. Nach dem Zeugnis eines Augenarztes ist es der Blick eines Menschen, der lange im Dunkel eingeschlossen war und ans Licht kommt, in den ersten Kontakt mit ihm. Es ist der Blick des Sohnes Gottes, der mit seinen menschlichen Augen den Vater anschaut. Und gleichzeitig schaut Er die Mutter; der Blick ist sein Geschenk auch an sie.
Aber ich glaube, er ist ebenso ein Geschenk an unsere Zeit, weil wir erst heute auf Grund der Möglichkeiten der Fotografie erkennen können, dass Grabtuch und oberes Sudarium eine Einheit bilden, dass sie zusammengehören. Es sind die beiden Zeugen, die das jüdische Gesetz zur Erhärtung der Wahrheit eines Tatbestandes verlangt, hier wird durch sie die Tatsache der Auferstehung bezeugt. Von den anderen zur Bestattung verwendeten Tüchern spricht die Heilige Schrift nur im allgemeinen, im Plural, sie werden nicht einzeln erwähnt, wie überhaupt Dinge des täglichen Lebens nur dann aufgezählt und erwähnt werden, wenn sie für das Heil eine Bedeutung haben. Das Evangelium spricht nicht von unwichtigen Dingen. Im Bericht über die Bestattung Jesu werden aber ausdrücklich und wiederholt diese beiden Zeugen erwähnt: Sindone und Sudarium.
Aus: Blandina Paschalis Schlömer, Jesus Christus im Selbstzeugnis Seiner Grabtücher, Selbstverlag 2007