Die Frau in der Geschichte des Heils: Maria als das weibliche Antlitz Gottes

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[1] In dem Buch über die Frau in der Geschichte des Heils untersucht der 1961 zum katholischen Glauben übergetretene konvertierte Priester Albrecht von Raab-Straube das Verhältnis der Göttlichen Dreifaltigkeit zur Gottesmutter.

Darin wird das Verhältnis von Gott und dem Weiblichen und dem Verhältnis der Christusgebärerin zur göttlichen Dreifaltigkeit thematisiert. Maria als das unzerstörbare Zeichen Gottes in der Welt, als die neue Eva, als die Mutter der Kirche, die Frau aller Völker steht auch heute deshalb im Mittelpunkt des theologischen Interesses, weil die feministische Theologie die vernachlässigte Komponente des Weiblichen in der göttlichen Dreifaltigkeit stärker als die bisherige betont und in radikaler Konsequenz verabsolutiert, wenn z. B. in der feministischen Theologie von "Mutter unser" statt von "Vater unser" gesprochen wird.

Nach der Lösung der sozialen Frage durch die Entstehung der Arbeiterbewegung und der sozialen Gesetzgebung im 19. und 20. Jahrhundert steht am Ende des 20. Jahrhunderts und zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Frauenbewegung im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Viele Parteien und viele Frauen in den Kirchen setzen sich politisch gegen die Benachteiligung der Frauen auf ökonomischen, politischem und kulturellem Gebiet ein. Die Emanzipation der Frauen setzte Ende des 19. Jahrhunderts ein und führte nach und nach zum Abbau von Benachteiligungen der Frau. Die sozialistischen Bewegungen betrachteten die Befreiung der Frau im Zusammenhang mit der Befreiung des Proletariats aus seiner Abhängigkeit. Bemühten sich die Nationalsozialisten die Frau auf die Rolle von Gattin und Mutter einzuengen, ging es nach dem II. Weltkrieg um die verfassungsrechtliche Gleichstellung der Frau. Hineingewachsen in das gesellschaftliche Leben waren die Frauen bereits unter dem Nationalsozialismus, weil sie während des Krieges und nach dem Krieg das Rückgrat der Wirtschaft bildeten, weil Millionen der jungen Männer sich im Kriegseinsatz befanden und viele nach dem Krieg verletzt und seelisch zerstört nach jahrelangen Lageraufhalten heimkamen und viele als vermisst galten. Neben dieser an der sozialen und politischen Besserstellung der Frau interessierten politischen und kirchlichen und gewerkschaftlichen Gruppierungen ging es aber der radikalen Frauenbewegung – dem Feminismus – um weit mehr – nämlich um die Abschaffung des Verbots des Schwangerschaftsabbruchs, um den Kampf gegen die individuelle und gesellschaftliche Männerherrschaft. Alle Brutalitäten, Grausamkeiten auf dem Gebiet der Politik, der kriegerischen Feldzüge, der Verbrechen, der häuslichen und außerhäuslichen Gewalt (Zwangsprostitution etc.) werden einer Kultur angelastet, die seit Jahrtausenden von Männern beherrscht und regiert wird.[2] In der Theologie geht es der feministischen Theologie heute insbesondere um die Erkämpfung des Rechts auf das Priestertum, die Bischofsweihe und das Papsttum. Hans Urs von Balthasar schreibt bezüglich des theologischen Grundproblems zusammenfassend zu diesem Thema:

"Weshalb aber tritt dann der Sohn menschwerdend als ein Mann hervor? Eindeutig deshalb, weil er innerhalb der Schöpfung als der Gesandte des Vaters dessen ursprüngliche Autorität vertritt. Der Schöpfung und der Kirche gegenüber ist er keinesfalls primär der Empfangende, sondern der Hervorbringende, auch wenn er gleichzeitig sich selber aus der Kirche und der Schöpfung im Ganzen zurückgewinnen will und muss, um seinen Weltauftrag voll zu erfüllen, analog dazu, wie der Vater durch die eucharistische Selbstverdankung des Sohnes ihm gegenüber seiner vollendet fruchtbaren Väterlichkeit innewird.

Vom Trinitarischen her – vom Primat des Vaters über alles und vom Primat des Sohnes über die Kirche und die Schöpfung – und nicht von der göttlichen oder geschaffenen "Natur" her lässt sich deshalb ein ab bildlicher Primat des Mannes verständlich machen, wie er von der Genesis und von Paulus betont wird ("das Haupt jedes Menschen ist Christus, das Haupt der Frau ist der Mann und das Haupt Christi ist Gott der Vater", 1 Kor 11-3). Diese Ordnung von oben – aus der ökonomischen und dahinter der immanenten Trinität – begründet auch die Zuordnung der Repräsentation Christi an das männliche Amtspriestertum. Um dieses wirklich zu verstehen, muss man so weit in das göttliche Geheimnis zurückgehen, als wir es zu tun versucht haben."[3]

Die Aufgliederung der radikalen Feministinnen in eine Männergesellschaft und eine Frauen-Vergesellschaftung betrachtet Manfred Hauke zu Recht als eine gefährliche Ideologisierung, weil Männliches und Weibliches nur rein materiell biologisch verstanden wird. Der Mensch muss als Einheit von Leib, Seele und Geist angesehen werden. Er ist kein biologisch bestimmtes Naturwesen, sondern ein Kulturwesen. Eine Angleichung bzw. Gleichstellung von Frauen und Männern führt nach Manfred Hauke immer dazu, dass die Frau durch den verfehlten Ehrgeiz, in allem dem Mann gleich sein zu wollen (in der Produktion, der Politik, dem Militär, der Kirche, der Wissenschaft, etc.) vermännlicht wird. Die Konsequenz ist, dass an die Stelle der herkömmlichen Familie und Ehe die Gesellschaft tendenziell nur noch aus Singles besteht und langfristig die Bevölkerung ausstirbt, wenn die Frau ihren angestammten Ort in der Familie aufgibt und die Kindererziehung zugunsten des Berufslebens zurücktritt. Eine Gesellschaft, die nur noch aus Singles besteht ist eine ego-fixierte Gesellschaft.

Kennzeichnend für eine total vermännlichte Leistungsgesellschaft ist, dass es in ihr kein Mysterium mehr gibt. Was nicht öffentlich ist, was nicht veröffentlicht werden kann oder will, hat keinerlei Existenzrecht mehr. Die Folge ist der Exhibitionismus und Narzissmus wie in "Big Brother" von RTL. Im Gegensatz dazu gab es in allen Kulturen die Tendenz, das Wichtigste zu verheimlichen. In allen Mysterienreligionen stand das Geheimnis im Mittelpunkt. Und auch im Christentum ist das zentrale Geschehen der Inkarnation ein Mysterium: Denn Maria nahm die Worte des Engels – heißt es – tief in ihr Herz hinein. In der Neuzeit war es besonders der Bonner Dogmatiker Matthias Scheeben, ein Benediktiner, der den Mysteriencharakter der Glaubensgegenstände betont hat:

1. Das Mysterium der Dreifaltigkeit.
2. Das Mysterium Gottes in der ursprünglichen Schöpfung.
3. Das Mysterium der Sünde.
4. Das Mysterium des Gottmenschen.
5. Das Mysterium der Eucharistie.
6. Das Mysterium der Kirche und der Sakramente.
7. Das Mysterium der christlichen Rechtfertigung.
8. Das Mysterium der Verklärung der letzten Dinge.
9. Das Mysterium der Prädestination.[4]

Und als eines der größten natürlichen Geheimnisse betrachteten alle Völker die Entstehung des Lebens im Mutterleib, die Fruchtbarkeit der Frau also. Im mütterlichen Schoß wächst das Kind heran und an der mütterlichen Brust wird das Kind in seinen frühen Anfängen genährt. Ihr Leib ist die erste Wiege des kommenden Kindes, in dem es Sicherheit und Geborgenheit vorfindet, noch mehr aber die Liebe der Mutter, das Herz der Mutter, das jenes Kindlein nie vergessen kann, mit dem sie neun Monate unter dem Dach ihres eigenen Leibes innigst lebte. Es ist das Geheimnis der Frau, dass sie als Mutter mit ihrem Leib einsteht für die kommende Generation. Denn dort wird ein Mensch, den Gott nach jüdisch-christlicher Vorstellung nach seinem Bild und Gleichnis schafft, von Gott ins Dasein gerufen und seiner Mutter in ihren Schoß übergeben. Diese natürliche mütterliche Verbindung zu dem Kind, das ihr eigenes ist, ist unter normalen Bedingungen nicht ersetzbar. Es kennt den Herzschlag der Mutter, die Stimme der Mutter, ist vom Fleisch und Blut der Mutter. Und diese Schwangerschaft hängt unter normalen Bedingungen vom Ja der Frau, vom Ja der Braut zu ihrem Bräutigam ab.

Heilsgeschichtlich ging im Alten Testament alle Initiative von Gott aus. Die gesamte Geschichte Israels und der Kirche ist eine Erlösungsgeschichte, in der Gott von Anbeginn der Handelnde an seinem Volk ist. Nicht der Mensch macht Geschichte, wie der berühmte englische Historiker Toynbee einmal sagte, sondern Gott und Mensch in einem Gegenüber von "Challenge and Response". In dieser Heilsgeschichte spielen einzelne Menschen als Führer eine große Rolle wie Noah, Abraham und Moses.

Aber mit dem Neuen Testament scheint sich das Verhältnis umgekehrt zu haben. Denn Gott macht das Heil der Menschheit vom JA eines Mädchens zur Zeit der römischen Besetzung in den Jahren der Zeitenwende abhängig. Maria hat ihr JA in aller Freiheit gesagt mit einer gewaltigen Tragweite für die Heilsgeschichte. Die katholischen Theologen haben dies aus der Inspiration durch den Heiligen Geist zu erklären versucht, Luther und die Reformatoren haben dem JA keinen hohen Stellenwert beigemessen, da sie die Empfängnis wie schon früher die Gnostiker lediglich als einen passiven Durchgang ansahen. Nach Auffassung der Reformatoren kommt also Maria keinerlei heilsgeschichtliche Bedeutung zu, sondern allein Christus – sola Christus. In der katholischen Theologie ist Maria demgegenüber bei allen Höhepunkten der Erlösung mitwirkend dabei: bei der Hochzeit zu Kanaan, bei dem Kreuz. Es geht hier nicht um ein zufälliges Frauenschicksal neben den großen "Männergeschichten" der Bibel, sondern den Aussagen über Maria kommt eine heilsgeschichtliche Bedeutung zu. Sie weisen über das Irdische hinaus, was in dem Attribut "Unbefleckte Empfängnis" (1854) am deutlichsten zum Ausdruck kommt. Bernadette Soubirous – die Seherin von Lourdes - hat nach ihren eigenen Aussagen eine Frau von unbeschreibbarer Schönheit und Jugendlichkeit, eine "himmlische Wesenheit" geschaut. Bei dieser Schau der Jungfrau als Himmelskönigin geht es nicht um eine mythologische Übersteigerung und Verfremdung der reinen evangelischen Botschaft von der Menschwerdung Christi wie die protestantische Theologie seit Luther behauptet. Es kommt genau so wie in der Christologie auch in der Mariologie eine Dimension zur Entfaltung, die die reine Biographie überschreitet und die bereits in den Schriften des AT und NT grundgelegt ist. Es geht im Grunde um die Entfaltung des Grundgeheimnisses: nämlich die Dokumentation des Dreifaltigen Gottes in der Welt, in seiner Schöpfung, in der Geschichte der Menschheit. "So lassen sich in der Heilsgeschichte von Anfang an die Aktivitäten des Einen und Dreifaltigen Gottes "nach außen" – genannt "ökonomische Trinität" – in biblischen Szenerien ablesen und interpretieren. Nur so werden wir diesen seltsamen Bericht von der Erschaffung der Frau aus der Rippe des Mannes sinnvoll deuten."[5]

Scheeben schreibt bezüglich des Ausgangs des Heiligen Geistes in die Schöpfung deshalb zu Recht:
"Es wäre nicht zu verwundern, wenn der zweite Prozess in Gott. ... die Hauchung des Geistes, in den Geschöpfen kein Abbild fände. Gleichwohl glauben wir, dass es ein solches Abbild gibt, ein Bild, welches ... die zweite Procession in Gott nach vielen Beziehungen in das hellste Licht setzt. Denn die zweite Produktion in Gott ist nicht von der Zeugung bloß unterschieden als neben ihr selbständig herlaufend: sie setzt die Zeugung wesentlich voraus. ... Aber wo werden wir dieses Bild finden?
Wenn die Mazedonier gegen das Hervorgehen des Hl. Geistes aus der Substanz Gottes einwandten, man könne sich keinen anderen Ursprung aus einer Substanz denken, als den durch Zeugung,[6] so antworten die hl. Väter, insbesondere der hl. Gregor von Nazianz, gerade in der menschlichen Natur finde sich noch eine andere Art: in der Produktion der Eva aus der Rippe Adams.
Indem Gott die Eva aus der Seite Adams nahm, wollte er dadurch bewirken, dass die menschliche Natur in den Repräsentanten der Geschlechtseinheit, Vater, Mutter und Kind, ebenso von einem Prinzip ausging, wie die göttliche Natur vom Vater auf den Sohn und von Vater und Sohn auf den hl. Geist übergeht. Er wollte die Geschlechtseinheit in der Menschheit als das möglichst treue Abbild der Natureinheit der göttlichen Personen darstellen. Wie in Gott der Sohn allein vom Vater ausgeht und der Hl. Geist als die Frucht, die Krone und das Siegel ihrer Einheit erscheint, so sollte in der Menschheit zuerst das Weib vom Manne allein ausgehen und das Kind die Frucht und die Krone der Vereinigung des Mannes mit dem Weibe bilden. ...
Nichtsdestoweniger tritt bei Gott ein ähnlicher, obwohl in ungleich höherer Weise die dritte Person als Mittlerin zwischen Vater und Sohn wie in der menschlichen Natur die Mutter zwischen Vater und Kind. Wie die Mutter das Liebesband zwischen Vater und Kind ist, so ist in Gott der Hl. Geist das Liebesband zwischen Vater und Sohn. ...
Denn wie beim Menschen die Fortpflanzung der Natur überhaupt in der Fleischlichkeit derselben wurzelt, so entspringt sie bei Gott umgekehrt gerade aus seiner absoluten Geistigkeit. Gerade deshalb, weil Gott der absolute Geist ist, weil er als solcher sein Wesen erkennend erfasst und in einem persönlichen Worte ausspricht, findet in Gott eine Mitteilung der Natur an eine andere Person statt. Wie daher beim Menschen die fleischliche Einheit die Einheit des Fleisches zwischen Vater und Sohn vermittelt und darstellt, so muss in Gott die dritte Person die geistige Einheit, die Einheit des Geistes, der geistigen Natur zwischen Vater und Sohn darstellen, und zwar nicht als Vermittlerin, sondern als Blüte und Spitze derselben. Um den Charakter und die Stellung dieser göttlichen Person zu bezeichnen darf man also nicht den Namen des Weibes auf dieselbe übertragen, man muss sie vielmehr als den verklärten Gegensatz desselben bezeichnen, als ein durchaus geistiges Band, oder schlechthin als Geist, als die Ausströmung und Offenbarung der geistigen Einheit zwischen Vater und Sohn. Die Zeugung in Gott ist wegen ihrer reinen Geistigkeit eine jungfräuliche; in jungfräulicher Weise muss also auch der Hl. Geist das Bindeglied sein zwischen Vater und Sohn. Nur dann, wenn das Weib, ohne Gattin und Mutter zu sein, als Jungfrau, den Brennpunkt der Liebe in der Familie zwischen Vater und Sohn bilden könnte, würde es nicht bloß halb, sondern ganz, nicht bloß in seinem Ursprung, sondern auch in seinem Wesen den Hl. Geist repräsentieren; und wenn man daher von jenen Beziehungen absieht, dürfte man in etwa die dritte Person als die Repräsentantin des weiblichen Wesens, d.h. der Liebe und der Zärtlichkeit, unter den göttlichen Personen bezeichnen."[7]

Matthias Scheeben ist eine der wenigen Dogmatiker, der den "Personalcharakter Mariens", das Mysteriums Mariens im Blick auf die Heilige Dreifaltigkeit betrachtet hat. Oft hört man heute, wo man jeder begrifflichen Durchdringung des Trinitäts- und Inkarnationsgeheimnisses misstraut und nur noch einer rein biblischen heilsgeschichtlichen Argumentation vertraut, dass Maria zwar eine außergewöhnliche Frau gewesen sei, dass sie die Mutter Jesu gewesen sei, dass sie Jesus geboren habe, dass sie Jesus in allen Lebenssituationen begleitet habe bis unter das Kreuz und dass sie in der Urgemeinde ein wichtige Rolle gespielt habe, dass aber alle dogmatischen Spekulationen einer Zeit mit einem völlig anderen Weltbild entstammen und daher zu vernachlässigen seien. In der Zeit der Emanzipation der Frau erregt schon der Begriff "Gottesmutter" Anstoß, obwohl dieser Begriff auf dem 3. ökumenischen Konzil gegen den Arianismus geprägt worden ist. Da alle Christen die ersten sieben Konzilien als Grundlage und Gemeinbesitz betrachten, ist die Frage, warum man diesen Spekulationen gegenüber heute so skeptisch ist.

Besonders der Evangelist Johannes ordnet Maria dem Christusgeheimnis zu und macht sichtbar, dass ihr eine bestimmte Rolle im Heilsgeschehen zukommt: von der Hochzeit zu Kanaan bis zum Kreuz und zum Großen Zeichen in der Apokalypse, das Künstler aller Zeiten immer auf Maria hin deuteten. Im Lied "Sag an, wer ist doch diese...."[8] kommt dies zum Ausdruck.
Matthias Scheeben bringt es auf den Punkt:
"Die konkreteste und prägnanteste Bestimmung des übernatürlichen Personalcharakters Mariens in seiner Ähnlichkeit und in seinem Unterschiede gegenüber dem Personalcharakter Christi ergibt sich daraus, dass Maria nach allgemeiner und steter kirchlicher Anschauung einerseits Gegenbild Evas, andererseits Urbild der Kirche ist.
Als Gegenbild Evas ist Maria in Bezug auf den himmlischen und geistlichen Adam, was erstere für den irdischen und animalischen Adam war, nämlich ein adjutorium simile sibi, d.h. ein ihm zur Seite gegebenes persönliches Gleichnis, welches als adjutorium simile einen ganz besonderen Typus hat, worin es die gemeinsame gottebenbildliche Natur ausprägt. Wie nun Eva für Adam ein solches Gleichnis nur dadurch war, dass sie ebenfalls durch eine geistige Seele konstituiert war, so kann auch die himmlische und geistliche Eva nur dann als Gleichnis des himmlischen und geistlichen Adam sich darstellen. ...
Dieser Charakter der Braut Christi (tritt) deutlich und lebendig hervor, wenn der Personalcharakter Mariens unmittelbar und formell gesucht wird in ihrer Eigenschaft als lebendige und persönliche Trägerin und Repräsentantin, d.h. Wohnung, Gefäß, Organ, Leid und Bild, mit einem Wort als Heiligtum der vom Logos ausgehenden Person des Hl. Geistes, oder darin, dass sie in ebenso spezieller, wenn auch entfernt nicht gleich vollkommener Weise mit der sie gleichsam informierenden und beseelenden Person des Hl. Geistes eine Person bildet, wie die menschliche Natur Christi mit dem Logos eine Person ausmacht."[9]

Im Bild des Urpaares Adam und Eva ist die ganze Menschheit typisch dargestellt. Als Bild Gottes wird im Mann und in d er Frau göttliches Geschehen sichtbar. Wenn berichtet wird, dass Gott die Eva aus der Rippe Adams schuf, so ist damit kein biologischer Vorgang gemeint, sondern, wie bereits die Kirchenväter richtig erkannten, ein Abbild der göttlichen Dreifaltigkeit. Wie nämlich der Sohn zwar gezeugt wird – so Set durch Adam und Eva – so wird Eva gehaucht, sie tritt aus dem Brustbereich aus der Rippe hervor. Das aber entspricht genau dem zweiten Prinzip der Hervorgänge aus Gott, dem Heiligen Geist. Diese Deutung durch den Theologen M. Scheeben entspricht genau der Darstellungsweise der Urgeschichte mit ihrem Begriffsinstrumentarium, insofern Irdisches und Himmlisches zusammen gesehen werden.

An dieser "Jahwistischen" Darstellung der Erschaffung Evas aus der Rippe von Adam haben sich Jahrhunderte die Theologen die Zähne ausgebissen. Soviel steht fest: Man kann nicht daran vorbeigehen, dass hier etwas Wesentliches über das Ursprungsverhältnis von Mann und Frau ausgesagt ist, insofern Adam der Urtyp des Menschen ist und Eva Urtyp der Frau ist. Wie man in dieser Doppelung den Urmenschen Gott-Sohn zuordnen darf, so "EVA dem zweiten Prinzip der Hervorgänge in Gott, nämlich dem Hl. Geist. Er wird nicht "gezeugt", sondern "gehaucht".

Was nun urtypisch für Adam und Eva im Alten Testament ist, das ist auch urtypisch für Jesus und Maria im Neuen Bund. Die Kirchenväter haben zu Recht die Erschaffung Evas aus der Rippe Adams mit der Geburt der Kirche aus dem Blut und Wasser der durchbohrten Seite des Herrn in Beziehung gesetzt: So wie Eva aus der Rippe Adams hervortrat, so die Kirche/Maria aus der Seite des Herrn am Kreuz. Deshalb steht nicht von ungefähr auch Maria neben Johannes unter dem Kreuz.

Aus Prüderie und Sexualfeindlichkeit hatte man vor dem II. Vatikanischen Konzil die Übertragung sexueller Bilder auf die inneren Beziehungen Gottes in der Dreifaltigkeit tabuisiert. Gott galt als heilig und rein. Mit dem Aufkommen des Feminismus in den 60iger Jahren betonte man nun polemisch gegen das vorherrschende patriarchale Bild von Gott die Weiblichkeit Gottes.[10] Die feministische Theologie sprach nicht mehr von "Vater unser", sondern von "Mutter unser" und statt von "Jesus Christus" von einer "Geistin". Dadurch wurde das ganze Thema in Verruf gebracht und endete in einer Sackgasse.

Aber zwei große Theologen haben die Diskussion weiter in Gang gebracht. Yves Congar schreibt in seinem Buch über den Heiligen Geist über die "Mütterlichkeit in Gott und die Weiblichkeit des Heiligen Geistes". [11] Nun könnte man leicht den Verdacht haben, dass Congar zu sehr Gott vermenschliche und Maria zu sehr vergöttliche, ohnehin meinen viele, seien alle Spekulationen über innertrinitarische Verhältnisse ohnehin müßig. Im Kalvinismus und im Islam, wo man Gott hoch unberührbar im Himmel ansiedelt und einen unüberbrückbaren Abstand zwischen Erde und Himmel annimmt, wird Maria zwar als demütige Magd des Herrn, nie aber als Himmelskönigin angesehen. Jedem Verdacht auf Vergöttlichung wird von vornherein ein Riegel vorgeschoben.

Aber dieser Puritanismus lässt sich, wie Albrecht von Raab-Straube betont, nicht durchhalten. Denn die breiten theologischen Strömungen der "Gott ist tot-Theologie" von Dorothee Sölle, die wiedererwachte Esoterik und Mystik betonen wieder die Erdgebundenheit Gottes und seine Hilfsbedürftigkeit auf Seiten der Menschen. Gott braucht, sagt Dorothee Sölle jeden Menschen. Zwischen Menschsein und Gottsein besteht eine kosmische Solidarität. Damit kommt der Frau wesenhaft die Rolle der Helferin zu, ja der göttlichen Inspiration. Dorothee Sölle hatte deshalb überhaupt keine Schwierigkeit damit, an die Göttlichkeit Mariens zu glauben.

Auch die wiedererstehende Esoterik führt weg von dem einseitigen sola scriptura Prinzip und rückt das Bild wieder in den Mittelpunkt. Dadurch kommt wieder eine Thematik zum Tragen, die durch den Jahrhunderte langen überheblichen Rationalismus in der protestantischen Theologie und der Pastoral völlig verdrängt war. Welt, Erde, Natur wird plötzlich wieder viel weiter gesehen, als was die Naturwissenschaft uns erlaubt zu sehen.[12] Am besten hat der berühmte katholische Dogmatiker Matthias Scheeben die Weiblichkeit des Heiligen Geistes zu Wort kommen lassen und begrifflich bestimmt, wenn er schreibt:
"Bei den wesentlich verschiedenen Verhältnissen, unter welchen die Person der Liebe in der menschlichen und in der göttlichen Natur auftritt, lässt sich indes die dritte Person in der Gottheit nicht so ohne weiteres mit den konkreten Namen ihres menschlichen Analogons bezeichnen. Den Namen Gattin und Mutter kann sie einmal gar nicht führen; aber auch die Namen des Weibes und der Braut lassen sich nicht so ohne weiteres auf sie anwenden, weil jener zu sehr an das materiell Sinnliche erinnert, und der letztere, obgleich nicht so sinnlich, doch an ein äußerliches Hinzutreten der dritten Person zu den beiden anderen denken ließe. Um also diese Analogie auf ihren eigentlichen Wert zurückzuführen, muss die Stellung des Hl. Geistes in der Gottheit zu Vater und Sohn näher bestimmt werden, dass er der jungfräulich bräutliche Mitgenosse beider ist. Er ist bräutlicher Mitgenosse, weil er kraft ihrer Liebe mit ihnen eine substanzielle Einheit bildet, jungfräulicher Mitgenosse, weil er zum Vater so wenig wie zum Sohn zur Ergänzung seiner Bedürftigkeit, sondern bloß kraft der Hingabe desselben an ihn hinzutritt; und der bräutliche Mitgenosse beider, weil er zum Sohne in demselben Verhältnisse des Ursprungs steht wie zum Vater.
Indes bedarf es für den Ausdruck des Inhaltes dieser Analogie keines weiteren Namens, die dieser Inhalt schon in dem Namen Heiliger Geist (im Hebräischen ist Ruach ein femininer Genus wie im Lateinischen: anima) ausgedrückt ist, inwiefern er die dritte Person in der Gottheit eben als den Erguss und den Brennpunkt ihrer beiderseitigen Liebe und zwar einer rein geistigen, keuschen und jungfräulichen Liebe darstellt.
Diese Analogie wird in dem Inhalte und der Redeweise der Offenbarung dadurch vervollständigt, dass diese beim ersten Weibe einen Ursprung aus dem Manne nachweist, der sich ebenso von der Zeugung unterscheidet. ...
Denn das "Hernehmen" der Eva aus der Seite Adams, also vom Herzen weg, bedeutet nichts anderes, als einen Ursprung aus liebevoller Hingabe von Seiten Adams ... Der Ursprung Evas aber war nach der Lehre aller Väter das Vorbild des Ursprungs der jungfräulichen Braut Christi, der Kirche, aus der Seite ihres göttlichen Bräutigams, und zwar direkt aus dem Herzen desselben und vermöge dessen eigener Lebenskraft durch Ausströmung seines lebendigen Blutes. Dan nun andererseits das Ausströmen des Blutes Christi das Symbol der Ausströmung des Hl. Geistes ist und die Kirche oben vermöge ihrer moralischen Einheit mit dem Hl. Geiste die Braut Christi ist: so wird hierin zugleich der Charakter des ewigen Ausgangs des Hl. Geistes selbst in einer Weise veranschaulicht, welche mit dem Ausströmen des Odems aus dem Herzen in der innigsten und lebendigsten Beziehung steht."[13]

Für viele Theologen und Laien gelten solche scholastischen Spekulationen als nicht mehr verstehbar und nachvollziehbar wie z. B. für Gotthold Hasenhüttl und Karl Rahner. Gegen solche spekulativen Glasperlenspiele wendet sich Gotthold Hasenhüttl. Er lehnt alle Spekulation ab, weil Gott überhaupt kein möglicher Gegenstand unserer Reflexion sein kann, sondern allenfalls nur eine Relation in der Tiefe unseres Inneren.[14] Er ist kein uns gegenüberstehendes DU. Deshalb sind herkömmliche Gebete für Hasenhüttl ausgeschlossen.

Karl Rahner interpretiert die Hervorgänge, die Hypostase in der Dreifaltigkeit modalistisch und betrachtete die Redeweise vom Vater, Sohn und Heiligen Geist als Äußerungen des Gottesgeheimnisses ad extra – also in die Welt hinein. Eine substantielle Trinität – eine Intrinizität – ist für ihn nicht vorstellbar, wie H. J. Vogels in einer Studie detailliert gezeigt hat.[15]

Hans Urs von Balthasar weist darauf hin, dass es bei aller Inkulturation und ständigen Verflüssigung von Sprache- Rede- und Denkfiguren es eine Konstanz und Verbindlichkeit der Aussagen geben muss. Das weiß nach ihm jeder Beter und Leser von Stellen der Heiligen Schrift, die immer wieder überrascht in der Klarheit und Treffsicherheit ihrer Aussagen.

Fest steht, dass es Glaubensaussagen gibt, die sich erst im Laufe der Jahrhunderte herauskristallisierten. Auf dieser Grundlage ist der Weltkatechismus der katholischen Grundlage entstanden, der sich in Ziffer 261 – 267 zum Thema "Dreifaltigkeit" äußert und deutlich macht, dass die von den Dogmatikern behandelten Grunddaten nicht veraltet oder willkürlicher Art sind.[16] Die Sätze des Weltkatechismus sind Verdichtungen von Glaubensaussagen, die durch Jahrhunderte herangewachsen sind, insbesondere Aussagen über das Innenleben Gottes. Das nizäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis hält fest, dass die drei Subsistenzen – Wesenheiten – in Gott PERSONEN nicht nur heißen, sondern sind. Über diese Frage des Personseins in Gott gab es viele philosophische Diskussionen in der Theologie, die vor allem gegenüber dem Judentum und Islam darum bemüht war, dass das Christentum keine Drei-Götter-Lehre, keinen Polytheismus vertritt.

Viele Autoren habe darauf hingewiesen, dass die Eigentümlichkeit des Hl. Geistes darin besteht, dass Vater und Sohn als Person anschaulich mit einem Gesicht dargestellt werden, der Hl. Geist hingegen oft mit vormenschlichen Gestalten wie einer Taube, dem Wind, dem Feuer. Wie kann man aber den Hl. Geist als Person sich vorstellen, dass er als Person angesprochen werden kann? Die Antwort lautet, wofür unzählige sakrale Bilder und Plastiken ein Zeugnis sind, dass man dem Hl. Geist ein Gesicht zuordnet. Papst Johannes Paul II. sah in Maria "die Ikone des Heiligen Geistes".[17] Hier trifft sich der verstorbene Papst mit Scheeben. Das, was Maria als Person in der Heilsgeschichte ausmacht, ist nicht nur, dass sie die Mutter und Gefährtin Jesu in seinem Heilswerk war, sondern dass sie "lebendige und persönliche Trägerin und Repräsentantin, d.h. Wohnung, Gefäß, Organ, Kleid und Bild, mit anderen Worten als Heiligtum der vom Logos ausgehenden PERSON des Heiligen Geistes"[18] anzusehen ist. Er kommt abschließend zu dem Urteil, dass Maria in zwar nicht in gleich vollkommener Weise - wie der Logos mit dem irdischen Christus eins ist – mit dem Hl. Geist verbunden sei. Gleichwohl "bildet Maria mit der sie gleichsam informierenden und beseelenden Person des Heiligen Geistes Eine Person."[19] Das hat zur Konsequenz, "dass Maria mit Christus durch ein in seiner Gottheit consubstantiales und aus seiner Gottheit hervorgehendes Produkt verbunden ist, welches ihr als übernatürliches Prinzip ihres Seins und Lebens innewohnt".[20] Dieses Prinzip, das den Personalcharakter Mariens ausmacht, ist nach Matthias Scheeben der Hl. Geist. Hier wird also das Gesicht des Hl. Geistes für uns Menschen anschaubar. Es ist sicherlich zu weitgehend, wenn Andrew Greeley davon spricht, dass Maria "die Inkarnation des Heiligen Geistes"[21] sei, weil es keine Identität zwischen Maria und dem Hl. Geist gibt. Man darf aber nach Albrecht von Raab-Straube dogmatisch korrekt sagen:

"So wie in Jesus Christus die Eine göttliche Person in zwei Naturen gegenwärtig ist, so sind in Maria in Einer Natur (der menschlichen) Zwei Personen gegenwärtig: der Heilige Geist, der Maria ganz durchdringt und überstrahlt, und die Person der dienenden Magd."[22] Zu Recht hat man gesagt, dass all jene Aussagen, die Arius über Jesus Christus gesagt hat, voll auf Maria zutreffen – seine Nichtgöttlichkeit und seine durch den Heiligen Geist inspirierte Menschlichkeit. Das Entscheidende ist, dass Christus "männlich" mit dem Ewigen Logos identisch ist und Maria dagegen "weiblich" vom Heiligen Geist überschattet und durchleuchtet wird. Dass man den Hl. Geist als das weibliche Antlitz Gottes bezeichnen kann, wie Greeley es tut, wird deutlich, wenn man den Stellen im AT und NT nachgeht, wo von der "Weisheit Gottes" die Rede ist. Und nicht umsonst wird in der Lauretanischen Litanei Maria dann als "Sitz der Weisheit", als sedes sapientiae bezeichnet.

Zwar ist es immer gewagt die Heiligste Dreifaltigkeit mit dem Bild der menschlichen Familie zu vergleichen und hat der Dogmatiker Michael Schmaus seinen Spott darüber ausgegossen, da jedes Gleichnis Missverständnissen ausgesetzt ist und eben nur gleichnishaft ist. Schmaus verweist auf die "Schekina" die Weisheit Gottes, die Sophia im Sinne der Anwesenheit Jahwes in den Tafeln des Gesetzes. Im in der größten Kirche der Christenheit – nach dem Petersdom – ist die Hagia Sophie in Konstantinopel, in der das Antlitz der Weisheit unmittelbar dargestellt ist: "Sagt an, wer ist doch diese, die vor dem Tag aufgeht?" In der hellenistischen Welt spielte bekanntlich die Weisheit eine hervorragende Rolle. Der Philosoph galt als "Freund der Weisheit" (gr.). In dem Buch der Weisheit des AT berühren sich griechisch-hellenistische und biblisch-orientalische Welt. Dieses Buch gilt den Protestanten als "apokryph" und fehlt in der Bibelausgabe, da es als auf dem Boden des Hellenismus erwachsen eingestuft wird und damit als nicht biblisch gilt. Die protestantische Theologie wehrte sich von Anbeginn gegen die Hellenisierung des Christentums und alle sich daraus ableitende Scholastik. Eigenmächtig haben dann die Reformatoren diesen Teil des AT als apokryph aus der Bibel ausgeschieden. Man wollte zu den Quellen vordringen, indem man alle Traditionen relativierte und damit alles Mystische und Marianische an der Wurzel kappte. Im Gegensatz dazu kam es in der Ostkirche zu einer ausgeprägten Entfaltung der Theologie der Weisheit, der Sophiologie.

In seinem Buch "Maria Sophia" legt Thomas Schipflinger erhellend dar, dass es in der Theologie des Westens durch Augustinus und seinen Nachfolgern zu einer Identifikation von LOGOS und SOPHIA kam. Die alttestamentlichen Weisheitsbücher werden dementsprechend auf diesen präexistenten LOGOS und seinen Vorzeichnungen in der Geschichte des Alten Bundes bezogen. Bei den Theologen der Ostkirche hingegen kam es zu Differenzierungen und wurde Weisheit mit SOPHIA identifiziert, wobei der LOGOS durchgehend mit männlichen Attributen und SOPHIA durchgängig mit weiblichen Attributen bezeichnet wurde. Schipflinger geht detailliert auf die philosophischen Grundlagen der Sophia-Spekulation ein und stellt die Personalität und Eigenwesenheit der SOPHIA heraus. Er hat ein riesiges Material gesichtet, kommt aber nicht zu einem klaren Urteil zu kommen, obwohl mit Händen zu greifen ist, dass die Weisheit in dem AT und NT eine geheimnisvolle Person eigener Prägung und Wesenheit ist. Die Texte der Jerusalemer Bibel sprechen von einer menschlich-göttlichen Person, lassen aber alles verschleiert im Nebelhaften und Mysterienhaften.

In allen Marienperikopen vor der liturgischen Erneuerung durch das II. Vaticanum wurden immer diese Texte aus den Weisheitsbüchern auf Maria bezogen. Heute sind diese Bezüge getilgt, obwohl gerade heute eine Aufwertung der "weiblichen Sicht" der Bibel zu beobachten ist. Im Hochmittelalter haben sich viele Theologen mit dem Geheimnis von Maria und SOPHIA beschäftigt, insbesondere auch Hildegard von Bingen, für die Maria das Herzstück einer Theologie des Weiblichen bildet.[23] Eva verkörpert für Hildegard von Bingen die Fruchtbarkeit, Maria bringt die Weisheit zu ihrer Erfüllung. Sie offenbart den ewigen Ratschluss, der von der Liebe vor Anbeginn der Welt vorherbestimmt war, denn durch sie ist die Fleischwerdung vollendet, und Gott wurde Mensch. Sie vereint so das Himmlische mit dem Irdischen und das Göttliche mit dem Fleischlichen. Diese weisheitliche Mariologie hat ihre Wurzeln in der Karolingerzeit, in der sich die marianische Liturgie und Ikonographie schrittweise entwickelte. Das Fest Mariä Himmelfahrt wurde bereits im 7. Jh. in Rom eingeführt und in der Liturgie wird eine Verbindung, ein Band zwischen der Mutter Gottes und der ewigen Weisheit hergestellt. Im 11. Jahrhundert preist Petrus Damian Maria als die Frau, die vor der Gründung der Welt durch den ewigen Ratschluss der Weisheit auserwählt und bestimmt war. Bernhard von Clairvaux sprach von Maria, "in der und durch die Gott unser König, vor der Zeit entschied, die Erlösung in der Mitte der Welt zu wirken." Gottfried von Admont spricht von Maria als der Erneuerin der Materie, in dem Moment als das Wort Fleisch angenommen hatte, sie ist nach ihm als die Neuschöpferin der Welt anzusehen.

Matthias Scheeben spricht, um die das Besondere Mariens für den Glauben zu charakterisieren, vom "Personalcharakter Mariens" und in seiner Dogmatik von der "Mutter des Herrn", von "der neuen Eva", von der "Mutter der Kirche". Neuerdings spricht man von Maria als "der Frau aller Völker", von Maria als der "Miterlöserin".

Bernadette von Soubirous – die Seherin von Lourdes - berichtete, wie sie subjektiv die Erscheinung sah: eine junge Frau, mädchenhaft, unbeschreiblich jung, strahlend von Schönheit. Sie wehrte sich gegen die Versuche, die Erscheinung in Bild und Plastik festzuhalten, weil sie den Unterschied als zu groß empfand. Nach ihr lässt sich die Erscheinung nicht mit menschlichen Mitteln wiedergeben. Auf Befragen sagte Bernadette nicht, sie sei die "Unbefleckte Empfängnis", sondern sprach nur von dem "schönen Ehrfurcht gebietenden Fräulein". Erst im Gespräch mit dem Pfarrer wurde ihr klar, dass sie Maria geschaut hatte. Der Pfarrer wusste, dass das 12jährige ungebildete Mädchen diese hochtheologische Aussage von Maria als der unbefleckt Empfangenen nicht hat frei erfinden können. Nach Schwester Lucia – der Seherin von Fatima, die 2005 im Alter von 94 Jahren gestorben ist -handelt es sich in Fatima um "eine völlig weiß gekleidete Frau, die mehr glänzte als die Sonne".

Nach Albrecht von Raab-Straube muss man zweierlei unterscheiden: einerseits die historische Gestalt Maria, von der das Lukasevangelium – und andere apokryphe Protoevangelien des Jakobus - berichtet und die Erscheinungen, wie sie in Visionen den verschiedenen Visionären begegnet ist. Die Darstellung über die "historische Maria" hatte in der Urchristenheit eine große Verbreitung gefunden und die ersten Versuche der Mariologie stark beeinflusst. Was die Seher und Seherinnen in zunehmender Zahl in ihrer Ekstase schauten, war etwas anderes. Oft haben die Seher und Seherinnen erst nachträglich die Vision mit Maria identifiziert. Es handelt sich dabei also um eine Schauung eigener Art, die mit der historischen Maria nicht viel gemeinsam hat. In den anerkannten Visionen tritt Maria vor Augen geschmückt mit "himmlischen Attributen", die den Zeichen in der Apokalypse entnommen sind (Sternenkranz, Zepter, umgeben von kosmischen Gewalten wie Sonne und Mond, mit Scharen von Engeln.) Die Marienerscheinung steht also für eine eigene, himmlische Realität. Sie hat mit der übernatürlichen Gnadenordnung zu tun, wenn sie bildhaft mit Strahlenbündeln erscheint, die von ihren Händen ausgehen, d.h. sie haben Maria als Gnadenvermittlerin gesehen.

Versucht man die historische Maria und die Maria bei den Erscheinungen in eine Einheit zu bringen, so kommt man zu einer Deutung, die bereits die Kirchenväter zugrunde gelegt hatten. Nach ihrem Tod wurde Maria in den Himmel erhoben, ganz in die Nähe Gottes, vor allem in die Nähe ihres Sohnes Jesus, und zwar in der Weise, dass sie an seinen Privilegien – dem Schöpfer und Erlöser der Welt -Anteil erhielt. Sie ist damit nicht länger mehr nur Mutter des Herrn, sondern durch ihre himmlische Erhöhung auch Mutter der Kirche, ja Mutter aller Menschen – "die Frau aller Völker" wie sie in den "Amsterdamer Botschaften" genannt wird. Aufgabe der Mariologie ist es nach Albrecht Raab-Straube diesen Weg von der Erde in den Himmel nachzuzeichnen. Die Mariologie nimmt in der katholischen Theologie und spezielle der Dogmatik deshalb eine zentrale Stellung ein, wie das in dem Lexikon der Mariologie", die im EOS-Verlag in sechs Bänden erscheinen ist, hervorgeht. Was haben nun die Theologen aus dieser historisch so unbedeutenden Frau gemacht? Ist alles nur Überbau, theologische Spekulation, "himmlische Realität"?

Sieht man von bezeugten weiblichen himmlischen Erscheinungen in nichtchristlichen Religionen ab, wo sie als Göttinnen verehrt werden, so weist das Alte Testament bereits auf die Beschreibung einer himmlischen Frauengestalt hin: nämlich die Weisheit. Damit wird eine himmlische Wesenheit angesprochen, die von Anbeginn der Schöpfung mit dabei war, die nicht Gott, sondern Geschöpf war (Spr 8, 22). Wohl aber ist sie seit Erschaffung der Welt als "Schekina" dabei. Die Kirche zögert nicht, diese Texte der Weisheitsliteratur auf Maria anzuwenden. In allen Marienfesten tauchen deshalb diese Texte immer wieder auf. Durch die Liturgiereform sind leider diese Spuren getilgt worden. Man wollte die neue Liturgie nämlich bewusst von dem mariologischen Überschwang befreien.

In der Ostkirche hingegen ist die Sophiologie eine eigenständige theologische Disziplin bis heute geblieben. Es muss nach der Sophiologie eine himmlische Repräsentation dessen geben, was die Weisheitsliteratur und die Propheten und Visionäre aller Jahrhunderte vor Augen hatten: eine von Anfang der Schöpfung her bestehende Wesenheit offenbar weiblicher Natur, die in der Gnadenökonomie eine ganz hervorragende Rolle spielt. In dem Kirchenlied: "Sagt an, wer ist doch diese, die vor dem Tag aufgeht, die überm Paradiese als Morgenröte steht? Sie kommt hervor aus Fernen, geziert mit Mond und Sternen, im Sonneglanz erhöht" kommt all das zum Ausdruck. In der heutigen Theologie (z. B. bei Hasenhüttl, bei Rahner) kommt die Mariologie nicht mehr vor. Deshalb muss man sich heute an den Theologen wenden, der im 19. Jahrhundert, in dem das Dogma von der unbefleckten Empfängnis Mariens durch Pius IX. verkündet wurde, sich eingehend mit der Mariologie beschäftigt hat, nämlich Matthias Scheeben. Er schreibt zum Personalcharakter Mariens:
"Denn der eigene Geist des Logos wird ... der Braut des Logos in ganz besonderer Weise als ihr eigener Geist geschenkt; und ebenso wird sie kraft ihrer Aneignung an den Logos in ganz besonderer Weise Eigentum des Heiligen Geistes. Dieses besondere persönliche Verhältnis der Mutter Gottes zum heiligen Geist wird sehr treffen ausgedrückt, dass sie, analog wie die Menschheit Christi der eigene Tempel des Heiligen Geistes genannt wird, d.h. ein Tempel, mit welchem der Heilige Geist nicht bloß durch die von ihm selbst ausgehende Gnade, sondern durch sein eigenes Prinzip verbunden ist, und in welchem er deshalb in gewissem Sinne corporaliter und naturaliter wohnt. Demgemäß ist denn auch der Ausdruck templum oder sacrarium Spiritus Sancti für die Beziehung der Mutter Gottes zum Heiligen Geiste ebenso oder noch mehr gebräuchlich., wie der Name sponsa Spiritus Sancti. Und derselbe ist umso bedeutungsvoller, weil er in der durch die Inkarnation vollzogenen Mitteilung und Offenbarung der innergöttlichen Produktionen nach außen oder in dem äußeren Hervortreten der in Gott ausgehenden göttlichen Personen der Person des Heiligen Geistes auf analoge Weise einen außergöttlichen Terminus im Weibe erweist, wie die Person des Sohnes einen solchen im Manne besitzt, indem .. neben dem fleischwerdenden Logos die fleischliche Wohnstätte des Heiligen Geistes, die in der Einheit mit ihm das adäquate Prinzip der äußeren Geburt des ... Logos bildet, neben dem "Lamme Gottes", der " "Taube Gottes", in harmonischer Verbindung und Wechselbeziehung erscheint. - Hiermit steht weiter in Verbindung, dass Maria als Braut des Logos auch in besonderer Weise Abbild der Person des Heiligen Geistes als solcher ist. Aus allen diesen Gründen trägt Maria, wie die Kirche, den Namen des animalischen Symbols des Heiligen Geistes, der Taube, welche bei ihr außerdem Symbol der vom Heiligen Geist abgeleiteten und darum jungfräulichen mütterlichen Fruchtbarkeit gegenüber dem Menschen Christus ist. Unter diesem Namen erscheint Maria zugleich als dem Heiligen Geiste ähnlich und mit ihm verbunden oder vielmehr von ihm gleichsam informiert und beseelt und mithin wie Eine moralische Person mit ihm, so dass er die Signatur ihrer Persönlichkeit bildet. Wo daher Maria, wie die Kirche, ... als eine von ihm verschiedene, ihm gegenübertretende und in eigener Weise handelnde Persson, aber gleichwohl in dem Charakter einer seiner würdigen und mit übernatürlichen Rechten ausgestatteten Person, also eigentlich als persönliche Braut aufgefasst wird, geschieht dies dadurch, dass der Heilige Geist nicht als Repräsentant der Gottheit des Logos, sondern förmlich als eine vom Logos verschiedene Person in moralischer Personeinheit mit Maria gedacht wird. Diese Auffassung aber tritt über all dort hervor, wo Maria, wie die Kirche, in einer gewissen Koordination mit Christus als dem Vater des ewigen Lebens und dem geistlichen Vater der Menschen als die Mutter der Gnade und der Begnadigten dargestellt wird."[24]

Das Personalprinzip Mariens ist nach Scheeben also der Heilige Geist. Damit identifiziert er sie nicht mit dem Heiligen Geist, sondern stellt er die Nähe der Dritten Person der Dreifaltigkeit mit dem Menschen Maria heraus. Das Erlösungsgeschehen, das mit der Inkarnation beginnt und im Kreuzesopfer gipfelt, bedarf nach Scheebens theologischer Interpretation einer Komplementierung in dem Sinn, dass die Menschwerdung der Zweiten Person in der Gottheit nicht genügend beschrieben wäre, wenn man nicht das JA Mariens, d.h. die menschliche Akzeptanz mit hineinnimmt. Und Maria hätte in ihrer reinen Menschlichkeit der Begegnung der Person Christi nicht standhalten können, wenn nicht Gott selber in Gestalt des Hl. Geistes zu Hilfe gekommen wäre, so dass ein echtes Gegenüber des Neuen Adam und der Neuen Eva möglich wurde. Maria wurde also so in den innergöttlichen Dialog mit hineingenommen, weil der Heilige Geist sie durch und durch erfüllte und durchdrang – eine Rolle, die die Möglichkeiten der historischen Maria weit übersteigt.

Der Heilige Geist galt lange Zeit als Stiefkind der Theologie. Erst der biblischen Aufarbeitung der Geist-Texte im Alten und Neuen Testament und nicht zuletzt die Ergebnisse einer vertieften philosophischen und anthropologischen Anthropologie trugen dazu bei, die Person des Hl. Geistes zu erhellen.[25] In Maria bekommt der Heilige Geist also ein Gesicht, wird als Person anschaubar. Manche Theologen sprechen deshalb von Maria als der "Ikone des Heiligen Geistes". Begreift man Maria als Miterlöserin, als Mitwirkerin am Erlösungsgeschehen, dann ist das ohne eine Theologie des Heiligen Geistes nicht verstehbar zu machen. Christus hat am Kreuz nicht allein erlöst, die Dreifaltigkeit war daran ganz beteiligt. Dafür sprechen die mittelalterlichen Gnadenstühle: Der Vater hält das Kreuz mit dem Sohn – und der Heilige Geist schwebt als Taube darüber.

Als man im II. Vatikanischen Konzil zwischen Glaubenswahrheiten von höherem und niedrigerem Rang unterschied wurden die Mariendogmen in dieser Hierarchie der Wahrheiten an den Rand gedrängt und als Glaubensaussagen mit marginaler Bedeutung eingestuft. Aber dabei handelt es sich bei der Mitwirkung Mariens im Erlösungsgeschehen um zentrale theologische Aussagen. Beim Dogma der unbefleckten Empfängnis Mariens und der leiblichen Aufnahme der Gottesmutter in den Himmel handelt es sich dementsprechend um Höhepunkte in der Entfaltung des katholischen Dogmas. Albrecht von Raab-Straube kommt abschließend in seiner Darlegung zur Frau in der Geschichte des Heiles zu Recht zu dem Urteil: "Mit Mann und Frau beginnt nicht nur das Schöpfungswerk, auch das Erlösungswerk kulminiert im Miteinander von Mann und Frau auf irdischer und himmlischer Bühne."[26]

Verweise

[1] Albrecht von Raab-Straube, Das unzerstörbare Bild, Kißlegg 2005.

[2] Vgl. dazu das umfangreiche Werk von Theodor Schneider, Mann und Frau – Grundprobleme theologischer Anthropologie,
Freiburg 1989.

[3] Hans Urs von Balthasar, Die Würde der Frau, in: Internationale Katholische Zeitschrift COMUNIO 11, Jg. 1982, Heft 4, 346.

[4] Matthias Scheeben, Die Mysterien des Christentums, Freiburg 1865.

[5] Albrecht von Raab-Straube, Das unzerstörbare Bild, Kißlegg 2005, 39.

[6] Bekanntlich ist bis heute einer der wesentlichen Unterschiede zwischen katholischer und orthodoxer Theologie, zwischen katholischem und orthodoxem CREDO, dass für die Orthodoxen der Geist nicht von Christus und dem Vater ausgeht (filioque), sondern allein vom Vater. Ebenfalls wird in der Orthodoxie Maria zwar als Gottesgebärerin angesehen, aber das Dogma von der leiblichen Aufnahme in den Himmel lehnen sie ab. Maria ist für die orthodoxe Theologie die Entschlafene. Sie thront nicht als Himmelskönigin über den Engeln, Aposteln, Patriarchen, Propheten wie es in der Lauretanischen Litanei heißt.

[7] Matthias Scheeben, Die Mysterien des Christentums, Freiburg 1865, 173 ff.

[8] "Sag an, wer ist doch diese, die auf am Himmel geht, die überm Paradiese als Morgenröte steht? Sie kommt hervor von ferne; es schmückt sie Mond und Sterne, die Braut von Nazareth. Sie ist die reinste Rose, ganz schön und auserwählt, die Magd, die makellose, die sich der Herr vermählt. O eilet, sie zu schauen, die schönste aller Frauen, die Freude aller Welt. Sie strahlt im Tugendkleide, kein Engel gleichet ihr, die Reinheit ihr Geschmeide, die Demut ihre Zier; ein Blumengart verschlossen, mit Himmelstau begossen, so blüht sie für und für. Sie ist der Himmelsheere, der Engel Königin, der Heiligen Lust und Ehre, der Menschen Trösterin, die Zuflucht aller Sünder, die Hilfe ihrer Kinder, die beste Mittlerin. Drum fallen wir zu Füßen der Jungfrau gnadenreich und sie mit Andacht grüßen aus Herz und Mund zugleich; ihr Leib und Seel und Leben wir gänzlich übergeben zur Hut ins Himmelreich. Text nach Joh. Khuen 1638, Weise: Johannes Khuen, St. Gallen 1705. Geheimnisvolle Rose/Die Gott dem Herrn gefällt l /die immer Herbstzeitlose/dienende Magd im Zelt,/die tiefste im Vertrauen,/die Erste aller Frauen/der letzter Trost der Welt.

[9] Matthias Scheeben, Dogmatik, Freiburg 1882, 501 ff.

[10] Vgl. Andrew Greeley, Maria – über die weibliche Dimension Gottes, Wien 1979.

[11] Yves Congar, Der Heilige Geist, Freiburg 1982, 424 – 427.

[12] Vgl. Ruppert Sheldrake, Das schöpferische Universum, München 1983.

[13] Matthias Scheeben, Dogmatik, Freiburg, 1882, § 1022 – 1024.

[14] Gotthold Hasenhüttl, Glauben ohne Mythos, 716.

[15] Hans Jürgen Vogels, Rahner im Kreuz-Verhör, Bonn 2001.

[16] Katechismus der Katholischen Kirche, München 1993.

[17] Vgl. Leo Scheffczyk, Maria – Mutter und Gefährtin Christi, Augsburg 2003, 139.

[18] Matthias Scheeben, Dogmatik, Freiburg 1886, § 1610.

[19] Matthias Scheeben, Dogmatik, Freiburg 1886, § 1610.

[20] Matthias Scheeben, Dogmatik, Freiburg 1886, § 1610.

[21] Andrew Greeley, Maria – über die weibliche Dimension Gottes, 67 ff.

[22] Albrecht von Raab-Straube, Das unzerstörbare Bild, Kißlegg 2005, 57.

[23] Barbara Newman, Hildegard von Bingen, Freiburg 1995.

[24] Matthias Scheeben, Dogmatik, Freiburg 1886, & 771.

[25] Vgl. z. B. das Werk von Herbert Mühlen, Der Heilige Geist als Person.

[26] Albrecht Raab-Straube, Das unzerstörbare Bild, Kißlegg 2005, 93.

Dr. Heinz-Georg Kuttner

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