Assoziationen zum Manoppello-Schleier
Mein Besuch vom 1. Mai 2007 ist erst wenige Monate her; die Faszination dieses geheimnisvollen Schleiertuches, ja die Magie dieses kleinen, aber doch so besonderen, einzigartigen Ortes führt mich bereits am 22. September 2007 wieder nach Manoppello.
Vor Ort treffe ich Paul Badde; er hat durch seine aufsehenerregende Publikation das Volto Santo weltweit bekannt gemacht und gewissermaßen auch den Papst (am 1. September 2006) nach Manoppello geführt. Herr Badde zeigt mir die unglaublichen Lichtwirkungen des "Vera ikon" bei ein- und ausgeschalteter Beleuchtung im Schrein. Ich stimme ihm zu: Einmal da gewesen, kommt man vom Volto Santo nicht mehr los…
Dieser Erfahrungssatz gewinnt axiomatische Bedeutung: Der Zustrom der Tagespilger, die i.d.R. per Bus von Rom aus anreisen, nimmt signifikant zu: permanent strömen Pilger in die Basilika und zur Treppe hinauf zum Volto Santo, um das Schleiertuch unmittelbar auf sich wirken zu lassen, einfach nur zu sehen, den Schrein zu berühren, zu meditieren, zu beten. Sie lassen sich vom Moment dieser Begegnung ergreifen, ja begeistern; selten wird der Wortsinn so transparent!
Ich bin dabei: Beim Betreten der Kirche nehme ich den Schleier in seiner vollständigen Transparenz wahr; erst wenn man sich dem Volto Santo auf dem Weg zum Hochaltar nähert, formt sich das geheimnisvolle Antlitz. Da ist es wieder, dieses zarte Muschelseidentuch mit dem unfassbaren Gesicht Christi, jetzt ist es wieder vor meinen Augen, ich atme durch, es ist mir ganz nah, und doch fern, entrückt vom hektischen Tagesgeschehen. Der Blick erreicht mich hautnah, hier und jetzt, und ist doch zugleich in eine andere Zeitdimension gerichtet, die man wohl "Ewigkeit" nennt. Das Antlitz von Manoppello überwindet alle Zeitvorstellungen – schon Einstein relativierte unser
Zeitverständnis -, alle uns bekannten physikalischen Maßstäbe und Definitionen, es ist im Wortsinne "über"-natürlich, aber eben nicht „widernatürlich“, das Schleiertuch löst unsere vermeintlich natürlich anmutende Wahrnehmungsrealität auf und begründet neue Erfahrungsebenen: Es ist hier in Manoppello spürbar, das neue Zeitalter des Christentums, dabei hat es schon vor 2000 Jahren begonnen und beginnt doch mit jedem Menschen, der vor dem Volto Santo steht, immer wieder neu. Nirgendwo auf der Welt lassen sich Transzendenz und Zeitlosigkeit derart intensiv wahrnehmen, die Spiritualität dieses Tuches ist wirklich und buchstäblich einzigartig, reicht weit über physische Erfahrungen und Erkenntnisse hinaus, in philosophischer Terminologie würde man wohl von "Meta"-Physik sprechen, schießt es mir durch den Kopf. Der Mensch konstruiert elektronische Wunderwerke, fährt zum Mond, weiß viel, meint häufig, noch mehr zu wissen, und ist doch noch nicht einmal in der Lage, dieses Antlitz, das sich ihm vis-à-vis auf dem hauchdünnen Schleier präsentiert, naturwissenschaftlich auch nur ansatzweise schlüssig zu erklären bzw. zu begreifen. Jeder Versuch der Verweltlichung, ja Profanierung durch irgendwelche Farbpigmentsthesen scheitert, kein Farbspektrum des Volto Santo lässt sich mit naturwissenschaftlichen Erfahrungssätzen in Einklang bringen. Aufgemalte Farbe lässt sich weder mit Wood-Licht noch spektroskopisch mit dem Raman-Mikroskop feststellen, der Manoppello-Schleier reagiert nicht auf Farbparameter. Dawkings-Wahn mag den Schleier negieren bzw. ignorieren, aber: es gibt keine wissenschaftliche These mit Substanz, welche auch nur die vollständige Transparenz des Schleiers zu erklären vermag, die "Leere" der Zwischenräume der Muschelseidenfäden, die Präsenz des Antlitzes auf nicht bemalbarer Muschelseide, zudem auf beiden Seiten des Tuches - das "Jesus-Foto" widersteht jedem Versuch der Widerlegung durch „Verweltlichung“, und dabei ist es realiter „da“, es ist - ich erlaube mir das Wortspiel - Dia, ohne Dia zu sein…
Im Santuario liegt ein Gästebuch aus, in das sich täglich Pilger aus aller Welt eintragen, das Buch ist beinahe voll. Ich blättere ein wenig darin, kann ich in diesem Buch meinen eigenen Eintrag vom Mai dieses Jahres wiederfinden? Keine Chance! Ich blättere zurück: das recht umfangreiche Buch erfasst gerade einmal die Gäste eines Monats; es ist unglaublich, wie viel Menschen täglich ihre Begegnung mit dem Volto Santo dokumentieren, ihre Wünsche, Sehnsüchte und emotionale Berührung niederschreiben. Mit welchen Erwartungen sind diese Menschen gekommen, mit welchen Erfahrungen, Empfindungen und Eindrücken werden sie wieder fahren? Die Begegnung mit dem überirdisch strahlenden Antlitz Christi – dies wird insbesondere in den Gottesdiensten deutlich, wenn man auf das oberhalb des Altars befindliche, dezent beleuchtete Schleiertuch blickt - wird auch sie prägen…
Nach der morgendlichen Frühmesse treffe ich Schwester Blandina; sie erforscht seit Jahren das Muschelseidentuch und hat die Kongruenz zum Turiner Grabtuch eindrucksvoll belegt. Es ist ein herzliches Wiedersehen. Wir tauschen Gedanken, Erfahrungen und Freundschaft aus; einen Satz von Schwester Blandina zur Authentizität des Schleiers werde ich nicht vergessen: "Die Fakten liegen alle auf dem Tisch, man muss sie nur zur Kenntnis nehmen!"
Dr. Markus van den Hövel, Bochum