Bildanalyse und digitale Restauration des Schleiers von Manoppello, Prof. Fanti et al.

Geschätzte Lesezeit ca. 42 Minuten

Liberato De Caro1* , Emilio Matriccianiun2 Giulio Fanti3

1 Istituto di Cristallografia, Consiglio Nazionale delle Ricerche (IC-CNR), via Amendola 122/O, 70126 Bari, Italy

2 Dipartimento di Elettronica, Informazione e Bioingegneria, Politecnico di Milano, Piazza L. da Vinci, 32, 20133 Milano, Italy; Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

3 Dipartimento di Ingegneria Industriale, Via Gradenigo 6/a, Universita di Padova, 35131 Padova, Italy; Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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Eingegangen: 28. September 2018; Angenommen: 21. Oktober 2018; Veröffentlicht: 25. Oktober 2018

Übersetzt aus dem Englischen von: Julia Schrader

Übersicht: Der Schleier von Manoppello ist eine Ikone des Gesichts Christi (das Heilige Antlitz). Seine große Besonderheit ist, dass er semitransparent ist. Das Gesicht ist von beiden Seiten sichtbar (vorn- hinten) und weist, je nach Licht- und Betrachtungsverhältnissen, Unterschiede in den anatomischen Details auf. Eine Analyse dieses Bildes hat es uns ermöglicht, einige Aspekte des möglichen physikalischen Mechanismus´ aufzuklären, die seinem ungewöhnlichen optischen Verhalten zugrunde liegen. Es ist ein "Leinenfasertuch", bestehend aus sehr dünnen Fäden mit einem Durchmesser von circa 0,1 mm, welche voneinander getrennt sind durch einen Abstand doppelt so dick wie die Fäden selbst. Dadurch besteht der Schleier zu 42 % aus Leerräumen. Die Fasern, aus denen die "Leinenfäden" bestehen, könnten durch eine organische Substanz, deren chemische Zusammensetzung Zellulose ähnelt, gefestigt worden sein, indem die Luft in deren Zwischenräumen beseitigt wurde. Vermutlich wurde dies mit Stärke getan. Solch eine Struktur bewirkt, dass sich das  optische Verhalten des Mediums zwischen dem eines lichtdurchlässigen Mediums (dünne gefestigte Leinenfäden) und einem transparenten (Leerräume zwischen den Fäden) bewegt. Das Problem der digitalen Bildrestauration in der räumlichen Hinsicht wurde auch schon beseitigt, da das Heilige Antlitz aufgrund von Verformungen der Maschen des Schleiers deformiert ist, die durch das Nachgeben der feinen Struktur des Stoffes verursacht wurden.

1. Einleitung

Der Schleier von Manoppello ist eine kleine rechteckige Leinwand mit den Maßen 240 x 175 mm2, gekennzeichnet durch einen sehr dünnen, semitransparenten Stoff, auf welchem das Ebenbild eines männlichen Gesichts mit langen Haaren und einem geteilten Bart abgebildet ist. Das dargestellte Gesicht wird in der christlichen Ikonografie mit Jesus Christus assoziiert, weshalb es das Heilige Antlitz genannt wird. Es wird im Heiligtum von Manoppello (PE) in Italien aufbewahrt und ist eine sehr besondere Ikone, da das Abbild auf beiden Seiten sichtbar ist. Abbildung 1 zeigt Fotos von beiden Seiten der Reliquie, die den Schleier enthält.

Die Wangen sind merklich ungleich, eine der beiden ist besonders geschwollen. Auf den ersten Blick scheint das Kinn nicht mit dem Rest des Gesichts übereinzustimmen und die Augen scheinen jeweils verschiedene Abstände zur Nase zu haben. All diese Eigenschaften verleihen dem Gesicht eine nicht zu leugnende Asymmetrie. Die Abbildung wurde von vielen Wissenschaftlern studiert, da nicht klar ist, wie sie hergestellt wurde [1-10]. Ihre Besonderheit rührt daher, dass das Gesicht von beiden Seiten sichtbar ist, wenn es in reflektiertem Licht beobachtet wird. Befinden sich der Betrachter und die Lichtquelle auf der Vorderseite des Schleiers, ist das Bild in Abbildung 1a sichtbar. Betrachtet der Beobachter stattdessen die Rückseite, kann er das Bild in Abbildung 1b sehen. Es ist als wäre das Abbild doppelgesichtig, obwohl es einige kleine Unterschiede zeigt, wie beispielsweise die Blickrichtung.

Außerdem ist das Gesicht selbst dann sichtbar, wenn es rückwärtig mit Streiflicht beleuchtet wird und man das Heilige Antlitz ansieht, welches durch den Schleier übertragen wird. Dies wird in Abbildung 2 schematisch veranschaulicht.

Bildanalyse und digitale Restauration des Schleiers von Manoppello, Prof. Fanti et al.

Abbildung 1. Gesicht des Schleiers von Manoppello, zu sehen von der Vorder- (a) und Rückseite (b), beleuchtet von vorne und als Spiegelung gesehen.

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Abbildung 2. Bilder des Heiligen Antlitzes, sichtbar auf dem Schleier von Manoppello abhängig von Betrachtungs- und Lichtverhältnissen.

Das heißt, das Gesicht ist sichtbar selbst wenn der Betrachter und die Lichtquelle sich nicht auf derselben Seite befinden. Befinden sich der Betrachter und die Lichtquelle auf derselben Seite und schauen auf die Vorderseite des Schleiers, ist die Reflexion, die in Abbildung 2 grün umrandet dargestellt ist, zu sehen, welche Abbildung 1a widerspiegelt. Sind allerdings Betrachter und Lichtquelle auf verschiedenen Seiten und wird der Schleier mit Streiflicht beleuchtet, wird das Bild durch den Schleier übertragen und erscheint wie die gelb umrandete Abbildung in Abbildung 2. Das gleiche Verhalten kann beobachtet werden, wenn die Ikone um 180 Grad gedreht wird. Mit anderen Worten: Zwei sehr ähnliche Bilder in der Art des grün umrandeten Bildes in Abbildung 2 sind sichtbar - eins von der Vorder- und eins von der Hinterseite. Außerdem ist es möglich, zwei weitere Bilder, die sich ebenfalls sehr ähnlich sind, zu sehen - eins von der Vorder- und eins von der Rückseite - in der Art der gelb umrandeten Abbildung. Diese beiden Bilder unterscheiden sich allerdings in einigen anatomischen Details von dem ersten (grün umrandeten) Paar. Man wechselt von Bildern der Art des ersten Paares zu solchen der Art des zweiten Paares, indem man die Bedingungen der Sichtbarmachung und der Beleuchtung des Schleiers verändert. Man wechselt also zwischen direktem und Streiflicht und platziert die Lichtquelle und den Beobachter auf die gleiche, beziehungsweise unterschiedliche Seiten des Schleiers.

Letztendlich macht direktes rückseitiges Licht das Gesicht nicht sofort sichtbar, da der Schleier so dünn ist, dass die Menge an Licht, die den Beobachter erreicht, übermäßig ist. Platziert man stattdessen ein Hindernis wie die Hand in Abbildung 3a zwischen Beobachter und Lichtquelle, um den Überschuss an Licht abzuschirmen, ist es möglich, den Teil des Gesichts zu sehen, der sich in dem abgeschirmten Bereich befindet.

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Abbildung 3. Verformung des Schleiers von Manoppello: (a) Ausschnitt des Schleiers ist sichtbar, wenn Lichtquelle und Beobachter von verschiedenen Seiten gerade auf den Schleier blicken, und der direkte Lichtstrahl teilweise abgeschirmt wird. Das dünne Gewebe des Stoffes ist sichtbar. Die Verformung der Fäden, die offensichtlich das Bild verformen, ist hervorgehoben; (b) Gesicht, welches mit rückseitigem Licht immer zu sehen ist, hier aber mit Streiflicht von einer seitlichen Quelle. Der weiße Kasten rechts stellt ungefähr den Bereich des Gesichts dar, welcher links gezeigt wird.

In dem Beispiel von Abbildung 3a erlaubt die Hand es uns, die rechte Seite des Gesichts auf Höhe des Wangenknochens und Auges zu sehen, übereinstimmend mit dem weißen Kasten in 3b, wo das ganze Gesicht mit rückseitigem und Streiflicht zu sehen ist. Vergleicht man Abbildung 3b mit Abbildung 1a,b, so geht hervor, dass die Zähne in dieser Rückbeleuchtung nicht zu sehen sind, wobei sie bei direktem Licht aber sichtbar sind (siehe Abb. 2 grüner Kasten). Der Möglichkeit, die Abbilder des doppelseitigen Gesichts zu sehen, liegt die spezielle Struktur des Stoffes zugrunde. Diese Eigenschaften haben die Aufmerksamkeit einiger Autoren geweckt, die den Schleier von Manoppello allerdings hauptsächlich aus historischem Blickwinkel studiert haben.

Unsere Studie ist aufgeteilt in mehrere Bestandteile. Durch eine genaue Analyse einiger schon existierender experimenteller Daten, bezogen von optischen und spektroskopischen Charakterisierungen des Schleiers von Manoppello, behandeln wir in diesem Artikel zuerst die möglichen Beschaffenheiten des Schleiers auf der Grundlage  seines unüblichen optischen Verhaltens. Danach wird das Bild mit dem Ziel digital analysiert, die Deformierungen des Gesichts zu korrigieren. Diese sind eine Folge der Verformung der dünnen Struktur der Schuss- und Kettfäden aufgrund der zahlreichen Belastungen, die der Schleier über die Jahrhunderte erlitten hat.

2. Optische und Spektroskopische Analyse des Schleiers von Manoppello

Es wurden nur wenige wissenschaftliche Studien an dem Schleier durchgeführt, und diese werden ausschließlich in Konferenzen, technischen Berichten und Essays [1-10] vorgetragen. Wie schon hervorgehoben wurde, scheint es, je nach Lichtverhältnissen, mehrere mehr oder weniger sichtbare Abbilder des Heiligen Antlitzes zu geben (Abb. 2). P. Baraldi [10] hat die Raman-Spektroskopie durchgeführt und konnte weder die Zusammensetzung der Farben noch des Materials, aus dem der Schleier besteht, feststellen, da es in den Akquisitionen keine signifikanten Spektralausschläge gab. In der Analyse wurde ein roter Laser auf 633 nm verwendet, da er durch das Glas, in dem sich der Schleier während den Messungen befand, hindurchströmt, ohne bedeutend abgeschwächt zu werden. Es ist weithin bekannt, dass viele organische Farben auf dieser Wellenlänge keine Raman-Spektren abgeben, während andere Farben deutliche Signale geben. Es konnte während der Raman-Messungen allerdings kein Stoff identifiziert werden.

Die erste Untersuchung, die am Schleier von Manoppello durchgeführt wurde, liegt zeitlich noch vor Baraldis Analyse und datiert aus 1974. Dabei wurde der Schleier unter ultraviolettem Licht (UV) aus einer Schwarzlichtlampe betrachtet [11]. In derselben Studie wurde auch herausgestellt, dass weder der Stoff noch das Bild die Fluoreszenz, die typisch für antike Gemälde ist, aufweisen, wobei bedacht werden muss, dass die beiden Glasscheiben, die den Schleier schützen, zumindest teilweise ultraviolette Strahlen filtern.

Der dritte Autor dieses Artikels [12] wiederholte ebenfalls die UV-Analyse; siehe Abbildung 4a. Obwohl das Bild niedrig aufgelöst ist, bestätigt das experimentelle Ergebnis das, was vorangehend herausgefunden wurde. Tatsächlich wurden erneut keine fluoreszenten Signale gefunden, die auf die Anwesenheit von natürlichen, organischen Substanzen wie Öle, Fette und Wachse " früher verwendete traditionelle malerische Klebmittel " zurückzuführen sind. Wenn man dabei allerdings Abbildung 4a und 3b im Hinblick auf einige anatomische Details wie beispielsweise Bartdefinition, Schnurrbarthaare, Definition der Pupillen und Iris- oder Lippenkonturen vergleicht, fällt auf, dass diese unter ultraviolettem Licht fast abwesend sind. Außerdem entspricht das Heilige Antlitz, welches unter UV-Licht zu sehen ist, eher dem, welches man bei der Übertragung mit sichtbarem Licht mit streifendem Einfall erhält. Obwohl das UV-Bild recht dunkel und niedrig aufgelöst ist, sind die Zähne, wie in Abbildung 3b, unter UV nicht sichtbar. Zudem zeigt das UV-Bild eine Oberlippe, die von einer größeren Breite gekennzeichnet ist als die Unterlippe, anders als in Abbildung 3b. Diese Eigenschaft könnte bedeuten, dass feinere anatomische Details wie Barthaare oder Oberlippenform möglicherweise auf einem älteren Bild retuschiert oder zu einem späteren Zeitpunkt hinzugefügt wurden.

Weitere Untersuchungen, die in 1984 und 2007 mit Infrarotlicht (IR) durchgeführt wurden, haben den Nachweis erbracht, dass im Schleier weder Spuren vorläufiger Gesichtsskizzen vorhanden sind, die typisch für alle Gemälde sind, noch eine sichtbare Unterschrift oder Kennzeichnung des Autors, wie Abbildung 4b es zeigt [12]. Beim Vergleich von Abbildung 4b mit 4a und 3b sollte beachtet werden, wie viel besser das IR-Gesicht mit dem Bild korreliert, welches man in sichtbarem Licht sieht, wenn Beobachter und Lichtquelle sich auf derselben Seite der Ikone befinden.

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Abbildung 4. Manoppello Schleier unter ultraviolettem und infrarotem Licht fotografiert. (a) Ultraviolettfoto, aufgenommen, indem der Schleier für 15 Sekunden hingelegt und die Lichtquelle bewegt wurde; dadurch gibt es einige Reflektionen aufgrund des Glases, die während der Messungen nicht entfernt werden konnten; (b) Infrarotfoto mit Quelle und Beobachter auf derselben Seite der Ikone.

Infrarotfotos haben im Allgemeinen die Eigenschaft, Diskontinuitäten hervorzuheben, die durch Pigmente oder Fremdkomponenten verursacht wurden, die zu einem späteren Zeitpunkt hinzugefügt wurden. Der Schleier wurde mit einer Glühlampe beleuchtet und mit infrarotempfindlichem Film fotografiert. Es ist zu beachten, wie in Abbildung 4b einige Bereiche der Haare eine andere Färbung aufweisen. Man bedenke in dieser Hinsicht, dass viele Materialien Infrarotlicht anders als sichtbares Licht reflektieren, absorbieren und übertragen. Zum Beispiel erscheint Blau/Azur unter IR meistens heller als wenn es mit sichtbarem Licht betrachtet wird; je nach chemischer Zusammensetzung erscheint es manchmal dunkler [13,14].

Die IR-Charakterisierung deutet an, dass die Haarfarbe sich graduell von einer geringeren Intensität am oberen Teil des Kopfes zu einer höheren Intensität im unteren Bereich ändert. Diese Versuchsdaten könnten mit einer Haarfarbe kompatibel sein, die von Braun am oberen Teil des Kopfes zu Rotbraun im unteren Bereich wird. Betrachtet man den Schleier in direktem sichtbarem Licht, ist die Haarfarbe einheitlicher, sowohl im oberen als auch im unteren Bereich. Es ist auch zu beachten, dass die Farbe der Iris klarer ist als in sichtbarem Licht, obwohl Farben, die Richtung Braun gehen, unter IR dunkler werden. Darüber hinaus ist der Limbus corneae (der dunkler gefärbte Kreis, der den äußersten Teil der Iris unmittelbar vor der weißen Lederhaut kennzeichnet) unter sichtbarem Licht klar erkennbar (Abb. 3b), verschwindet aber unter IR fast vollständig und weist unrunde Konturen auf, insbesondere im linken Auge. Diese Ergebnisse könnten auf die mögliche Präsenz einiger Retuschen und dem möglichen Mitwirken eines anderen zugrunde liegenden chromatischen Bestandteils hinweisen, die in sichtbarem Licht nicht sofort nachweisbar sind. Man beachte schließlich, dass das Glas, welches den Schleier einschließt, einen Teil der IR-Strahlung absorbiert. Dies könnte die Erkennung und Erfassung schwacher Signale verhindert haben, die durch die Wechselwirkung mit der einfallenden Strahlung erzeugt wurden. Das Gleiche ist womöglich mit der Raman-Spektroskopie passiert, das heißt, die schwächeren Signale, die vom Schleier ausgehen, könnten durch das Signal des Glases überdeckt worden sein. Detailliertere und genauere UV- IR-Charakterisierungen wären sehr nützlich, um diese Erkenntnisse zu bestätigen. Um neue optische Messungen durchzuführen, wäre ein direkter Zugang zum Schleier nötig; das muss zuerst durch das Heiligtum von Manoppello genehmigt werden.

D. Vittore [15] analysierte den Schleier mithilfe eines hochauflösenden digitalen Scanners und stellte keine Farbreste im Zwischenraum zwischen Kett- und Schussfäden fest. Die Anwesenheit von einem Pigment wird daher begrenzt auf den Bereich der Fäden, die sich in der Größenordnung von 100 µm (0,1 mm) befinden.

C. Vigo, eine Expertin in der Verarbeitung von Byssus, hat einige Eigenschaften des Stoffes gefunden, wie beispielsweise seinen unüblichen Glanz, der den Fasern zugeschrieben werden könnte, die durch die Pinna nobilis Mollusken produziert werden. Diese Mollusken wurden seit antiken Zeiten verwendet [16]. Der dritte Autor dieses Artikels hingegen führte eine mikroskopische Analyse mit kreuzpolarisiertem Licht durch, um eine Doppelbrechung hervorzuheben, die für die Charakterisierung der Fasern, aus denen die Fäden bestehen, nützlich ist. Er bemerkte ein Schillern, welches nicht für den Byssus, sondern eher für Leinen, üblich ist [12]. Es ist bekannt, dass Leinen doppelbrechend ist und, anders als Byssus, in einem Licht, das zur Kreuzpolarisation übertragen wird, deutliche Schwankungen an Farben von Blaugrün zu Gelbrot zeigt. Die mikroskopischen Untersuchungen mit Kreuzpolarisation hoben die Präsenz von Doppelbrechung in Teilen der Fasern hervor, was anzeigt, dass die Fasern Leinfasern sein könnten (Abb. 5).

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Abbildung 5. Optische Charakterisierung der Fasern des Manoppello-Schleiers mit polarisiertem Licht: (a,b) Zum Vergleich zwei Leinfasern betrachtet in polarisiertem Licht, welche die typischen Farben aufgrund von Doppelbrechung zeigen; (c) zum Vergleich einige Byssusfasern betrachtet in polarisiertem Licht, die keine Doppelbrechung zeigen; (d-f) Fotografien einiger Fasern des Schleiers von Manoppello, aufgenommen mithilfe einer Glühlampe; (g) Vergrößerung von (d), aufgenommen mithilfe einer Glühlampe; (h,i) gleiche Region wie (g) aber aufgenommen mithilfe einer Neonlampe; alle Fasern des Schleiers, die in polarisiertem Licht betrachtet werden, zeigen Doppelbrechung.

Abbildungen 5a,b zeigen zum Vergleich zwei Leinfasern, wie sie in polarisiertem Licht gesehen werden. In beiden Abbildungen ist die typische Farbe aufgrund von Doppelbrechung sichtbar. 5c zeigt vergleichsweise einige Byssusfasern in polarisiertem Licht. Sie behalten dieselbe Färbung bei, die sie unter einem unpolarisierten Lichtstrahl haben und weisen keine Anzeichen von Doppelbrechung auf. Abbildungen 5d-h zeigen einige Bilder von Fäden des Schleiers, die in polarisiertem Licht an einem Riss im Stoff aufgenommen wurden. Alle analysierten Fasern weisen die Doppelbrechung auf, die typisch für Leinen, Jute und Hanf ist. Abbildungen 5d-f sind Fotografien, die mit einer glühenden Lichtquelle aufgenommen wurden. Insbesondere Abbildung 5f ist vergleichbar mit 5h. Abbildung 5g, eine Vergrößerung von 5d, aufgenommen mit einer Glühlampe, kann mit Abbildungen 5h,i verglichen werden, da sie sich auf den gleichen Bereich beziehen, aber mit einer Neonlampe erzielt wurden. Auch in diesen letzten Abbildungen ist die Präsenz von Doppelbrechung offensichtlich. Durch die in polarisiertem Licht durchgeführten Analysen können wir die Möglichkeit ausschließen, dass es sich um Byssus handelt. Es scheint stattdessen bestätigt, dass der Schleier aus dünnen Leinenfäden besteht.

Es sollte auch  bemerkt werden, dass Byssusfasern durch leicht höhere Durchmesser (20-30µm) gekennzeichnet sind als solche aus  Leinen (10-20 µm), die in ihrer Größe  denen des Schleiers ähneln. Darüber hinaus zeigen die vergrößerten Fasern des Schleiers offensichtliche Spuren von Verfestigung, auch wenn die bereits erwähnten spektroskopischen Analysen kein spezifisches Bindemittel nachwiesen, das während des Malens verwendet wurde [12].

3. Schleierstruktur und Bildabhängigkeit von Lichtverhältnissen

Eine sehr wichtige Eigenschaft des Schleiers von Manoppello ist seine Semitransparenz, wie zu sehen in Abbildung 3a. Die religiösen Autoritäten ziehen es vor, dass die zwei Glasscheiben, zwischen denen der Schleier eingeschlossen ist, nicht geöffnet werden. Er ist in einem Gehäuse mit einem sichtbaren Raum von 240 x 176 mm2 gerahmt und überschreitet die Maße des Rahmens um 5 mm. In horizontaler Richtung gibt es 27 ± 2 Fäden pro cm mit einem Zwischenraum von 1/(27 - 1)≙0,39 ± 0,03 mm. In vertikaler Richtung gibt es 33 ± 2 Fäden pro cm Stoff, was durch traditionelles Weben mit einem Verhältnis von 1:1 zwischen Schuss- (horizontal) und Kettfaden (vertikal) erreicht wurde. Der Kettfaden ist dadurch gleich mit 1/(33 " 1) ≙ 0,31 ± 0,02 mm und ist durchschnittlich schmaler als der horizontale Faden. Ihr Verhältnis beträgt 0,79 ± 0,11. Die Fäden sind durchschnittlich 0,12 mm dick. Daher befindet sich zwischen den Fäden eine deutliche Lücke, die sich zwischen 0,18 und 0,25 mm bewegt und (somit) etwa doppelt so dick ist wie der Faden. Das Verhältnis zwischen dem Leerraum, den die Fäden lassen, und der Oberfläche eines Rechtecks mit den Maßen 0,31 x 0,39 mm2, gleich dem Produkt aus Schuss- und Kettfaden, wird ausgedrückt durch (0,31 " 0,12) x (0,39 " 0,12) / (0,31 x 0:39) ≙ 0,42. Daher bestehen rund 42 % des Schleiers von Manoppello aus leerem Raum. Dies erklärt, warum er unter direktem Licht wie in Abbildung 3a semitransparent ist. Gleichzeitig ist allerdings nicht klar, wie es möglich war, die unterschiedlichen Bilder zu erzielen, die abhängig von den folgenden Lichtverhältnissen auftreten: (1) Licht und Beobachter auf derselben Seite direkt zum Schleier gerichtet (Abbildung 1a,b); (2) Licht und Beobachter direkt zum Schleier gerichtet, aber auf verschiedenen Seiten (Abbildung 3a); (3) Beobachter direkt zum Schleier gerichtet, mit rückseitigem Streiflicht (Abbildung 3b). Ferner ist es nicht klar, wie es möglich ist, durch veränderte Lichtverhältnisse verschiedene anatomische Details, wie den unterschiedlich geöffneten Mund, hervorzuheben, um die Zähne zu zeigen oder auch nicht. Dies ist im Vergleich von Abbildungen 1-3 sichtbar.

Dieses einzigartige Verhalten ist in Abbildung 6 zusammengefasst, worin die Details des Mundes und des rechten Auges abgebildet sind. Abbildung 6a zeigt dieses Detail des Mundes und des rechten Auges auf der Vorderseite des Schleiers, wenn Beobachter und Lichtquelle sich auf derselben Seite befinden.

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 Abbildung 6. Details des Mundes und des rechten Auges von Manoppellos Heiligem Antlitz. (a) Detail des Mundes und es rechten Auges des reflektierten Bildes von der Vorderseite des Schleiers, wenn sich Beobachter und Lichtquelle auf derselben Seite befinden. Das Bild der Rückseite, aufgenommen unter denselben Lichtverhältnissen, zeigt anatomische Details, die denen der Vorderseite ähneln. (b) Detail des Mundes und des rechten Auges des Reflexionsbildes, das von der Rückseite des Schleiers übertragen wird, wenn dieser mit Streiflicht beleuchtet wird.

Unter diesen Lichtverhältnissen sind die gleichen anatomischen Details vorhanden, egal ob man Vorder- oder Rückseite betrachtet, wie beispielsweise die Zähne und die Sklera des Auges. Es ist jedoch notwendig, streifendes Licht zu verwenden, wenn Beobachter und Lichtquelle sich auf gegenüberliegenden Seiten befinden. In diesem Fall verschwindet, wie in Abbildung 6b gezeigt, die weiße Farbe sowohl im Bereich der Zähne als auch in der Sklera des Auges. Die Pupille scheint verkleinert zu sein, da die Sklera des Auges von Abbildung 6b ausgedehnter zu sein scheint als die Sklera als die von Abbildung 6a, obwohl die Abmessungen der Öffnung des Auges dieselben sind. Darüber hinaus - und dies ist der ungewöhnlichste Aspekt - ist nicht nur das Weiß der Zähne, sondern auch die Zähne selbst sind bei streifendem Licht nicht mehr sichtbar. Es ist, als ob in dem in streifendem Licht sichtbaren Bild die Oberlippe tiefer platziert ist und die Zähne bedeckt und somit nicht mehr sichtbar. Gleichzeitig bleibt aber der höchste Rand der Oberlippe, den man sehen kann, wenn Beobachter und Lichtquelle sich auf derselben Seite befinden, sichtbar, selbst wenn Beobachter und Lichtquelle auf verschiedenen Seiten sind. Dies geht aus dem Vergleich der weißen und roten Pfeile, die in Abbildungen 6a,b gezeigt sind, hervor. In diesem Zusammenhang sollte auch die Änderung des Farbtons beachtet werden: dunkler im Bereich der Oberlippe, der unter den durch die roten Pfeile in Abbildung 6b angegebenen Umriss fällt, im Vergleich zum helleren Ton der Unterlippe und des Bereichs der Oberlippe, der durch die weißen Pfeile in Abbildung 6b begrenzt ist. Alles sollte sich auf das beziehen, was für UV sichtbar ist (Abbildung 4a) und kann bedeuten, dass die durch die roten Pfeile gekennzeichnete Lippenform von Abbildung 6b vereinbar mit einer Retusche ist, die an einer alten Ikone durchgeführt wurde. Wahrscheinlich war die Form der Oberlippe die, die durch die weißen Pfeile in Abbildung 6b gekennzeichnet ist. Schließlich, wie auch sichtbar in den in Abbildung 6 gezeigten anatomischen Details, zeigt das mit Streiflicht erhaltene Bild (Abbildung 6b) rote Details viel deutlicher, ähnlich wie Wunden und Hautabschürfungen etc., die in dem mit direkter Beleuchtung erhaltenen Bild (Abbildung 6a) nicht so sichtbar sind. Dies ist ein wichtiger Punkt, auf den wir in einem späteren Abschnitt zurückkommen werden.

Wie bereits in den Kommentaren zu Abbildung 2 beobachtet, ist es letztendlich so, als ob mehrere Bilder auf dem Schleier von Manoppello koexistierten. Zwei von ihnen, die sich sehr ähnlich, fast identisch sind, sind von vorne und hinten sichtbar, wenn sich Beobachter und Lichtquelle auf derselben Seite befinden. Zwei weitere Bilder, immer vorne und hinten sichtbar, tauchen aus dem Schleier auf, wenn Lichtquelle und Beobachter sich nicht auf derselben Seite befinden. Diese Bilder sind einander sehr ähnlich, weisen jedoch klare Unterschiede im Vergleich zu dem vorherigen Paar Bilder auf. Die Farbtöne des in streifendem Licht sichtbaren Bildes neigen in den helleren Bereichen in Richtung Gelbgold (Abbildung 3b), aber, wie oben erwähnt, könnte die natürliche Färbung und der bestimmte Streiflicht-Einfallswinkel nicht unerheblich zur endgültigen Tönung des Bildes beitragen.

Es ist ebenfalls zu bemerken, dass mit mehreren, je nach Lichtverhältnissen sichtbaren, Bildern auf demselben Träger häufig intermediäre Bedingungen geschaffen werden, bei denen einige Details zweier Bilder gleichzeitig sichtbar sind. Dies ist das Phänomen der sogenannten Phantombilder. In der Praxis kann durch Ändern der Beleuchtungs- oder Visualisierungsmodi keines der beiden Bilder vollständig unterdrückt werden; sie sind teilweise überlappend zu sehen, eines intensiver als das andere. Somit ist das Profil der Lippe, das durch die weißen Pfeile in Abbildung 6 angezeigt wird, sowohl bei direktem als auch bei streifendem Licht sichtbar, aber nur in einem der Fälle ist es besser zu sehen. Das Gleiche gilt auch für die Lippenkontur, die in Abbildung 6 durch die roten Pfeile gekennzeichnet ist. Diese ist in beiden Bildern präsent, allerdings fällt sie nicht sofort auf, da sie über die Konturen der Zähne gelegt ist. Das Phänomen der Phantombilder bedeutet, dass sich die Lichtverhältnisse gegenüber dem Beobachter ändern, wenn er, die Ikone betrachtend, sich ihr gegenüber seitlich bewegt. Das heißt, dass die Beteiligung der verschiedenen Bilder variabel ist und von der jeweiligen Position der Lichtquelle, des Schleiers und Beobachters abhängt. Dies erweckt den Eindruck, dass das Gesicht die Lippen und Augen leicht bewegt, wenn der Beobachter seine Position ändert.

Der Schleier von Manoppello sollte daher als das erste Beispiel der Kunstgeschichte gesehen werden, in dem in einem Kunstwerk mehrere Bilder auf demselben Träger je nach Licht- und/oder Betrachtungsverhältnissen sichtbar sind. Laut der von Kapuzinerprediger Pater Donato da Bomba zwischen 1642 und 1645 geschriebenen Relatione Historica hätte der Schleier Anfang 1500, aber mit größerer Sicherheit um 1600, im Kloster ankommen können, wo er noch heute aufbewahrt wird. Stattdessen wird bisher das Doppelporträt von König Friedrich IV und Königin Louise Mecklenburg- Güstow von Dänemark, gemalt 1692 durch Gaspar Antoine de Bois-Clair, als das erste historische Beispiel eines Gemäldes mit der Koexistenz zweier Bilder betrachtet. Dies sind zwei Porträts von jeweils dem König oder der Königin, die je nach Betrachtungswinkel unabhängig voneinander auf demselben Bild zu sehen sind. Die hier verwendete Technik zeigt allerdings deutlich die Koexistenz zweier Bilder auf demselben Gemälde, anders als der Schleier von Manoppello, auf dem das Bild des Gesichtes mit dem halboffenen Mund nicht sofort sichtbar ist und nur erscheint, wenn der Schleier mit Streiflicht beleuchtet ist.

4. Hypothesen zum optischen Mechanismus der Bilderzeugung und zur Struktur des Schleiers

Die Präsenz zweier Bilder auf derselben Ikone ist nahezu einzigartig. Es ist nicht ungewöhnlich, dass je nach Lichteinfallswinkel unterschiedliche Lichtintensitäten und Spektralanteile reflektiert und übertragen werden können. Dies ist abhängig von der chemischen Zusammensetzung und mikroskopischen Struktur des physischen Mediums, wodurch je nach Lichteinfalls- und Betrachtungswinkel sichtbare Farbvariationen entstehen. Ungewöhnlich jedoch ist, dass je nach Betrachtungswinkel Bilder mit verschiedenen anatomischen Details sichtbar sind.

Abbildung 7 zeigt eine Vergrößerung eines Details des Schleiers von Manoppello, die vom dritten Autor dieses Artikels angefertigt wurde [12]. Ein manueller Knoten von zwei Fäden und ein gewisses Maß an Transparenz sind sichtbar, was C. Vigo möglicherweise veranlasst hat, marinen Byssus zu vermuten [16]. Aber, wie bereits zusammengefasst, gibt es experimentelle Beweise dafür, dass die Fasern Leinen sein könnten. Es sei daran erinnert, dass die Dicke dieser Fasern ungefähr 0,12 mm beträgt und ihr Querschnitt pseudozylindrisch ist.

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Abbildung 7. Vergrößerte Ansicht eines Details des Schleiers von Manoppello, die seine feine Struktur und Transparenz zeigt.

Die Struktur eines Leinenfadens ist in optischer Hinsicht besonders inhomogen, da Bereiche bestehend aus Zellulose mit Brechungsindexwerten nahe 1,5 (Leinenmikrofasern in einer typischen Größenordnung von 10 µm) sich mit Leerräumen mit einem Wert von 1 abwechseln. In einer inhomogenen Mikrostruktur breitet sich das Licht im Wesentlichen durch Diffusion aus, da mehrere Brechungen durch die kontinuierliche Änderung des Brechungsindex von 1 auf 1,5 verursacht werden, was das Medium undurchsichtig macht. Durch die geringe Dicke kann man sehen, was sich auf der anderen Seite befindet, jedoch ohne genau definierte Details. Das ist zum Beispiel das, was passiert, wenn man durch ein Blatt Kopierpapier schaut, das im Wesentlichen aus Zellulose besteht und eine Dicke in der Größenordnung von 100 µm aufweist, so wie die Fäden des Schleiers von Manoppello. Das Blatt ist undurchsichtig, aber angesichts der geringen Dicke sieht man den Schatten von was auch immer sich in direktem Kontakt dahinter befindet, ohne die feineren Details gut definieren zu können.
        Das in Abbildung 7 gezeigte Bild führt jedoch vor, dass die Fäden des Schleiers durch eine gewisse Helligkeit und Transparenz gekennzeichnet sind. Das heißt, sie verhalten sich nicht wie ein undurchsichtiges Medium, sondern wie ein lichtdurchlässiges. Lichtdurchlässigkeit oder Transluzenz tritt auf, wenn die Übertragung von Licht, wie in einem homogenen und transparenten Medium, teilweise durch Brechung und, wie in einem inhomogenen und undurchsichtigen Medium, teilweise durch Diffusion erfolgt. Sogar Papier kann lichtdurchlässig werden, wenn zum Beispiel ein Tropfen Öl das Blatt des vorherigen Beispiels durchnässt. In der Nähe des Flecks würde sich das optische Verhalten des Mediums radikal verändern und das Blatt von undurchsichtig zu lichtdurchlässig umwandeln; dies würde es uns ermöglichen, sogar die feineren Details eines Objekts, welches sich dahinter befindet, zu sehen, besonders wenn es in direktem Kontakt zum Papier steht. Das liegt daran, dass die Luftzwischenräume zwischen den Papierfasern mit Öl gefüllt wären, das einen Brechungsindex aufweist, der dem von Zellulose nahekommt. All das würde den Brechungsanteil erhöhen und den Diffusionsanteil reduzieren, wodurch das optische Verhalten des Mediums lichtdurchlässig wird. Dies ist das Prinzip, welches die Entwicklung von lichtdurchlässigem Papier ermöglicht hat, das von Künstlern häufig verwendet wird, um originalgetreue Kopien von Zeichnungen zu reproduzieren, die mit den lichtdurchlässigen Blättern in Kontakt gebracht werden. Das lichtdurchlässige Papier wurde durch Imprägnieren von gewöhnlichem Papier mit Ölen, fettigen Substanzen und Harzen mit einem Brechungsindex, der möglichst nahe an dem von Zellulose liegt, erhalten [17]. Auf diese Weise wird die Opazität oder Undurchsichtigkeit des normalen Papiers erheblich verringert. Um sich ein Bild von den Größenordnungen zu machen: Das Blatt einer Tageszeitung hat eine Opazität von 90 % (bei 100 % wäre das Blatt komplett undurchsichtig). Bei einem weißen Blatt ultradünnem Papier mit einer Dicke von 60 µm beträgt die Opazität 60 %. Bei einem durchscheinenden Blatt Papier, das mit mehr als 100 µm noch dicker ist, sinkt die Opazität auf 30 % [18], was zeigt, wie wichtig es ist, die Lufträume zwischen den Zellulose-Mikrofasern mit einem Material mit einem zelluloseähnlichen Brechungsindex zu füllen (beseitigen).

Man könnte daher die Hypothese aufstellen, dass die Fasern des Schleiers von Manoppello mit einer Substanz imprägniert wurden, die sie durchscheinend machte, wie aus Abbildung 7 hervorgeht. Allerdings, wie schon erwähnt, haben spektroskopische Analysen keinen solchen Stoff aufgedeckt und mikroskopische Untersuchungen zeigten das Vorhandensein einer festigenden Substanz inmitten der Leinenfasern. Dieser Befund lässt sich auch aus Abbildung 7 ableiten, da dort die Fasern aufgrund des Mangels an Leerräumen nicht gut unterscheidbar sind. Sie scheinen daher gefestigt zu sein. Aber durch was?

Um diese Frage zu beantworten, muss an einige historische Informationen über den Schleier von Manoppello erinnert werden. Ein Bericht, geschrieben 1618 von Fabritiis und im Kloster von Manoppello aufbewahrt, unterstreicht, dass das Bild des Heiligen Antlitzes sich in der Mitte eines quadratischen Schleiers befand, dessen Größe etwa vier neapolitanischen Palmen (ca. 4 x 26,5 cm), also ungefähr einem Meter entsprach [7]. Da der periphere Teil des Schleiers völlig zerstört war, schnitt ein gewisser Pater Clemente das innere Rechteck, das sich noch im Reliquiar von Manoppello befand, und ließ nur einen kleinen Rahmen, der jetzt durch das Reliquiar bedeckt ist. Ein so großer und so dünner Leinenschleier kann nicht mit einer Leinwand eines Malers verglichen werden, sondern eher mit einem mit einem Kleidungsstück bestimmt für eine Frau sozialen Ranges. Falls also die Leinenfasern mit einer Substanz imprägniert wurden, die sie noch glänzender und durchscheinender gemacht hat, ist mit der Hypothese, dass es sich um ein Kleidungsstück handelt, sicher, dass es nicht mit einer öligen oder fettigen Substanz oder mit einem typischen Wachs für Malerleinwände behandelt wurde. Viel wahrscheinlicher wäre das Kleidungsstück mit Stärke imprägniert worden, da die Praxis des Stärkens von Kleidung und Leinen sehr alt ist und bis in die Zeit der alten Ägypter zurückreicht [19, 20]. Es würde den Rahmen dieser Studie sprengen, zu erklären, warum das Heilige Antlitz von Manoppello einem Kleidungsstück ähnlich ist und nicht der Leinwand eines Malers. Die sichere Tatsache ist, dass der Träger des Bildes in der Kunstwelt einzigartig ist. Aufgrund seiner besonderen Eigenschaft des sehr dünnen Stoffes sollte die Geschichte des Schleiers von Manoppello mit der des Schleiers von Veronica in Beziehung gesetzt werden, der Ikone/Reliquie Christi, die die christliche Tradition an seine Passion und seinen Tod bindet. Weitere Informationen zu diesen interessanten historischen Beziehungen zwischen diesen beiden Ikonen sind im Artikel von S. Gaeta zu finden [7]. Stärke ist weder ein Öl noch ein Fett, sondern ein Kohlenhydrat, also ein Polymer mit der gleichen chemischen Zusammensetzung und einer sehr ähnlichen Struktur wie Zellulose. Es gibt bloß einen einzigen Unterschied zwischen Stärke und Zellulose: In Stärke sind alle Glukosemoleküle gleich ausgerichtet (Alpha-Bindungen). In Zellulose hingegen ist jede aufeinanderfolgende Glukoseeinheit auf der Hauptpolymerkette um 180 Grad zu der vorhergehenden Monomer-Einheit gedreht (Beta- glykosidische Bindung). Im Vergleich zur Struktur der Stärke macht die besondere Orientierung der Monomere die Zellulosepolymere in Längsrichtung um einiges widerstandsfähiger, und wasserunlöslich sobald sie für die Eignung zur Herstellung von Textilfasern mit Hemizellulose und Glykoproteinen kombiniert werden. Die beiden Materialien haben allerdings fast denselben Brechungsindex. Daher würden die gestärkten Leinenfäden keine Lücken zwischen ihren Mikrofasern haben und der Stoff optisch besonders homogen werden; dies würde es Licht ermöglichen, sich mit einem dominanten Brechungsanteil und einer reduzierten Präsenz von Diffusion auszubreiten, wodurch der Stoff lichtdurchlässig würde, selbst mit der durchschnittlich kleinen Dicke der beteiligten Fäden (weniger als 100 µm).

Tatsächlich kann die Zellulosestruktur auf atomarer Ebene so geordnet werden, dass sie bei einer Dicke von weniger als 0,1 mm sogar durchsichtig und nicht nur lichtdurchlässig ist [21]. Im Fall des Schleiers von Manoppello würden sich die Leinenfäden " die laut unser Hypothese gestärkt worden sind " optisch so verhalten wie ein lichtdurchlässiges Material. Außerdem sind die Leinenfasern des Schleiers sehr dünn und auch sehr weit voneinander entfernt, um die Schärfe der bei der Übertragung mit rückseitiger Belichtung sichtbaren Bilddetails zu erhalten. Aufgrund der Struktur des Schleiers ist die Diffusion quer auf ein Ausmaß von circa 0,1 mm begrenzt; also auf die Größe der Leinenfäden. Da das Auflösungsvermögen des menschlichen Auges in der gleichen Größenordnung liegt, bleiben die Konturen des Bildes klar. Aus dem gleichen Grund verhält sich der Schleier angesichts des Abstands zwischen den feinen Fäden auch wie ein halbdurchsichtiges Medium, da die Ausbreitung zwischen den Fäden in der Luft stattfindet, wenn der Schleier von Licht mit streifendem Einfall beleuchtet wird. All dies deutet an, dass die chromatischen Eigenschaften der Bilder des Heiligen Antlitzes als Folge der kombinierten Wirkung der Transluzenz und Transparenz des Mediums erklärt werden könnten, wobei die Schärfe der anatomischen Details auch dann erhalten bleibt, wenn der Schleier rückseitig mit streifendem Licht beleuchtet wird, das den Schleier durchquert, um zum Beobachter zu gelangen. Die chromatischen Bestandteile werden jedoch deutlich beeinflusst. Sie können entsprechend ausgeglichen werden, um die ursprünglichen Farben des Heiligen Antlitzes zu rekonstruieren, indem der Hintergrundbeitrag des Gelbs aus den dünnen durchscheinenden Fäden, die aus im Laufe der Jahrhunderte vergilbten antiken Leinenfäden bestehen (Abb. 7), beseitigt wird.
        Diese Hypothese könnte auch erklären, warum die am Schleier von Manoppello durchgeführten spektroskopischen Analysen die typischen malerischen Bindemittel (Öle, Fette, Wachse) nicht nachwiesen: nicht, weil das Bindemittel, das die Fasern zementiert, nicht existiert, sondern weil es dieselbe chemische Zusammensetzung und eine sehr ähnliche Polymerstruktur wie Zellulose hat. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass Stärke kunstgeschichtlich als Imprägnierung der Leinwandfasern verwendet wurde, die Verwendung von mit Stärkekleber imprägnierten Leinen allerdings erst 1850 begann [22]. Der resultierende Träger war widerstandsfähig, lichtdurchlässig und für künstlerische Techniken wie die Verwendung von Bleistift, Tinte und Aquarell geeignet. Aufgrund der erheblichen Produktionskosten begann die Verwendung dieses Trägers gegen 1930 abzunehmen, bis er dank der Entdeckung durchsichtiger Kunststoffmaterialien um 1970 verschwand.

5. Das ungewöhnliche optische Verhalten rötlicher Details

In Anbetracht dessen, was im vorherigen Abschnitt erörtert wurde, und angesichts der Transluzenz der dünnen gestärkten Leinenfäden, ist verständlich, warum das Bild des Heiligen Antlitzes sowohl bei direktem Licht mit Betrachter und Lichtquelle auf derselben Seite sichtbar ist, als auch bei Streiflicht mit Betrachter und Lichtquelle auf verschiedenen Seiten. Im zweiten Fall wird das von der Rückseite des Schleiers einfallende Licht durch die dünnen Fäden teilweise gestreut, reflektiert, gebrochen und übertragen. Je streifender der Lichteinfall, desto mehr erhält das Bild durch den Beitrag der gelblichen Farbe eine gelbgoldene Färbung. Diese Färbung ist für das alte Leinen typisch und beeinflusst das Licht, das durch die Fäden geht. Im ersten Fall, wenn Betrachter und Lichtquelle auf derselben Seite platziert sind, dominiert stattdessen der reflektierte Teil von dem, was sich auf der Oberfläche der Fäden befindet und die Farben des Heiligen Antlitzes werden weniger vom darunterliegenden, chromatisch nicht neutralen Träger beeinflusst.
        In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass die rötlichen Details des Heiligen Antlitzes nur unter streifendem Licht klar sichtbar sind, wenn also die darunterliegende Komponente durch die Übertragung durch die Leinenfäden betont wird, wie beispielsweise in der Lippenregion zu sehen ist (Abbildung 6a,b). Die Tatsache, dass rötliche Details bei direkter Beleuchtung weniger sichtbar sind, impliziert, dass sie sich in größeren Tiefen als andere Farben befinden und aus diesem Grund nur sichtbar werden, wenn Licht durch die Fäden fällt. Dies würde bedeuten, dass die rötlichen Details die Leinenfäden gefärbt haben, bevor die anderen Farben hinzugefügt wurden, als es noch keine später nachgetragenen anatomischen Details des Gesichts gab. All das ist einzigartig, weil die malerische Praxis und die praktische Möglichkeit, das Werk auf solch dünnen Fäden zu realisieren, erfordern würden, zuerst das ganze Gesicht darzustellen und erst dann andere Details, wie beispielsweise die Blutspuren, die mit der Passion Christi in Verbindung stehen und im Bild dargestellt sind, hinzuzufügen. Dieses ungewöhnliche Verhalten der rötlichen Details des Heiligen Antlitzes von Manoppello sollten auch mit einer der vielen Traditionen um den Schleier von Veronica in Beziehung gesetzt werden. Dadurch würde das Bild des Heiligen Antlitzes mit einer frommen Frau ("Veronica") in Verbindung gebracht, die während des Aufstiegs nach Golgotha Schweiß und Blut vom Antlitz Christi abgewischt haben soll. Neben Blut würde aber auch das vollständige Bild des Antlitzes erscheinen. Die Ergebnisse einer genauen Analyse des Heiligen Antlitzes von Manoppello scheinen diese Tradition zu repräsentieren. Es bleibt unerklärlich, wie diese bestimmte Abfolge des Färbens der Ikone, mit den tiefer platzierten und vor den anderen Farben aufgedruckten roten Details, auf einem so dünnen gestärkten Leinenschleier erzielt worden sein könnte. Eine genauere Raman- Charakterisierung mit modernerer Ausstattung als die bereits durchgeführte, oder eine Röntgencharakterisierung, könnten nützliche experimentelle Daten über die Art und chemische Zusammensetzung der rötlichen Details, des Schleiers und der anderen Pigmente liefern.

6. Deformierung des Schleiers und Korrektur von Bildverzerrungen

Die dünne Struktur des Schleiers führt zu einer Veranlagung des Schleiers, sich leicht zu verformen, wie in Abbildung 3a gezeigt. Darüber hinaus haben Spannungen, die sich über die Jahrhunderte zwischen dem Schleier und der tragenden Struktur entwickelt haben, auch Risse erzeugt, wie den, der in Abbildung 8 gezeigt ist und dessen Entstehung in Abbildung 9 schematisch erläutert wird [12].

Bildanalyse und digitale Restauration des Schleiers von Manoppello, Prof. Fanti et al.

Abbildung 8. Vergrößerung eines Schleierrisses aufgenommen mit optischem Mikroskop.

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Abbildung 9. Phasen der möglichen Bildung von Rissen im Schleier: (1) Ausgangszustand: Schleier auf einem starren Träger eingerahmt. (2) Aufgrund der Alterung würde der Stoff eingehen, wenn er nicht in den Rahmen eingebunden wäre. (3) Damit der Schleier an den Rahmen gebunden bleibt, müssen innere Spannungen entwickelt werden; diese Kräfte werden von schwarzen Pfeilen repräsentiert. (4) Aufgrund des Einsatzes dieser Kräfte wird der Stoff zerrissen.

Die dünne Struktur des Schleiers ist sicherlich die Grundlage für seine besonderen Eigenschaften, mit dem Heiligen Antlitz, welches beidseitig sichtbar ist und abhängig von Beleuchtungs- und Betrachtungswinkel verschiedene Bilder zeigt. Gleichzeitig führt sie jedoch zu einem strukturellen Versagen des Stoffes (Abbildungen 3a und 8) und folglich zu nicht unerheblichen Deformierungen des Bildes. Wie in Abbildung 3a gezeigt, müssen die rote Linie und die Pfeile einer krummlinigen Bahn folgen, um parallel zu den vertikalen Fäden zu bleiben. Von der vertikalen blauen Linie ausgehend ist eine beständige Verschiebung der Fäden zu sehen. Eine quantitative Analyse von Abbildung 3a zeigt, dass die Drehung der vertikalen Fäden gleich ±7 ° ist. Der untere weiße Pfeil zeigt die maximale Verschiebung an, die aufgrund der Verformung im Gewebe des Stoffs festgestellt wurde. Zum Vergleich wurde noch ein weißer Pfeil im rechten Auge gezeichnet, durch den das Ausmaß der Verformung beurteilt werden kann - es entspricht etwa einem Viertel der Breite des Auges. Da ein menschliches Auge in einem Verhältnis von 1:1, übereinstimmend mit dem anatomischen Bereich, in dem der weiße Pfeil liegt, eine durchschnittliche Öffnung von 2,3-2,4 cm hat, folgt daraus, dass die Verzerrung des Gewebes eine Verschiebung von circa 0,5-1,0 cm in den horizontalen Abmessungen der rechten Wange verursacht. Diese Deformierung stimmt genau mit der geschwollenen Wange überein und könnte aus diesem Grund vorher unbemerkt geblieben sein. In Anbetracht dieser Analyse ist ein Teil der Schwellung der rechten Wange auf die Deformierung der Gewebestruktur zurückzuführen. Andere offensichtliche Asymmetrien des Gewebes, wie die unterschiedlichen Abstände der Augen von der Nasen-Mund-Achse, könnten ihren Ursprung in der Verformung des Schleiers haben. B.P. Schlòmer [5] hat die Hypothese aufgestellt, dass das Gesicht, welches auf dem Schleier von Manoppello dargestellt ist, auf das Gesicht des Mannes vom Grabtuch von Turin überlagert werden kann, wenn es entsprechend gedreht wird. Um diese Hypothese korrekt zu verifizieren, ist es notwendig, zuerst die durch das Nachgeben des Gewebes entstandenen Verzerrungen zu entfernen. Unseres Wissens wurde diese Art von Korrektur nie am Bild des Manoppello-Gesichts durchgeführt. Dies ist jedoch ein wichtiger Schritt, da diese Deformierungen nicht unerheblich sind und die Grenzen der räumlichen Auflösung des fotografischen Negativs überschreiten, auf dem das Gesicht des Grabtuchbildes zu sehen ist (etwa 4,9 ± 0,5 mm) [23]. Die Verzerrung kann digital beseitigt werden, indem das Bild so verarbeitet wird, dass das Gewebe des Stoffes so weit wie möglich im Rechteck symmetrisch wird. Es ist möglich, einen Ausschnitt des Manoppello-Gesichts vor der Korrektur (Abbildung 10a) und danach (Abbildung 10b) zu vergleichen.

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Abbildung 10. Ausschnitt des Gesichts von Manoppello: (a) vor der Korrektur der Verzerrung; (b) nach der Korrektur.

Die vertikale gepunktete weiße Linie ist, zusammen mit den Pfeilen, nützlich, um die Verzerrung des Bildes hervorzuheben (Abbildung 10a), die im korrigierten Bild fast vollständig fehlt (Abbildung 10b). Das gleiche kann von der horizontalen gestrichelten Linie gesagt werden, die sich neben einem Fehler im Gewebe des Stoffs befindet, der im verzerrten Bild gekrümmt ist (Abbildung 10a) und im korrigierten Bild gerade wird (Abbildung 10b).
      Abbildung 11 zeigt das gesamte Bild, original (a) und durch Verzerrung korrigiert (b), auf einem schwarzen Hintergrund, um die Gesamtverformung des Schleiers hervorzuheben.

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Abbildung 11. Heiliges Antlitz von Manoppello: (a) vor der Korrektur der Verformung; (b) nach der Korrektur.

Die gestrichelte weiße Linie und die Pfeile betonen das Vorhandensein der Verzerrung im Stoff auf der linken Seite (Abbildung 11a) und das Fehlen dieser rechts (Abbildung 11b). Die horizontalen gepunkteten blauen Linien verbinden die Pupillen des Gesichts, während die vertikalen auf der Spiegelsymmetrieachse zwischen der rechten und linken Seite mit Mund und Nase als Orientierungspunkt liegen. In Abbildung 11a (verzerrtes Bild) kreuzen sich die beiden blauen gepunkteten Linien nicht rechtwinklig, wo wie sie es nach der Korrektur tun (Abbildung 11b).
      In Abbildung 12a,b haben wir das Fourier-Transformationsmodul (FT) von Abbildung 11a,b auf einer logarithmischen Skala angegeben, nachdem wir die Komponenten mit der niedrigsten räumlichen Frequenz (typisch für die anatomischen Merkmale) subtrahierten. Das haben wir getan, um die höheren Werte zu betonen, die mit den kleinsten Details des Bildes, wie beispielsweise den Stofffäden, zusammenhängen. Das FT des Bildes in Abbildung 11a, welches in Abbildung 12a zu sehen ist, ist stark ausgerichtet, das heißt es ist aus Sicht der Rotation nicht isotrop. In Gemälden kann die Anisotropie eine Folge der Ausrichtung sein, mit der der*die Maler*in die Farbe auf der Leinwand verteilt hat, das heißt, wie der Pinsel bewegt wurde, oder welche Maltechnik angewendet wurde. Im Fall des Gesichts von Manoppello trägt allerdings auch die Gewebestruktur zum FT-Modul bei. Im vorliegenden Fall scheint es so, dass die Höchstwerte (weiß im Bild) sich auf mehreren räumlichen Frequenzen befinden (typisch für eine periodische Struktur), welche genau dem mittleren Abstand zwischen den Fäden des Schleiers entsprechen. Wie in Abbildung 12a gezeigt, beträgt die Winkelöffnung der im FT sichtbaren Strukturen etwa 13 ° in der vertikalen und 20 ° in der horizontalen Richtung. Die direkte Messung, die durch die örtliche Verzerrung des Bildes in Abbildung 3a erhalten wurde, zeigt entlang der roten Linie eine gesamte Winkelabweichung von 14 °, also von der gleichen Größenordnung wie der zuletzt erwähnte Wert. Daher wird gefolgert, dass ein Großteil der Anisotropie des FT durch die Verzerrung der Schleierstruktur verursacht sein sollte.

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Abbildung 12. Fourier-Transformationsmodul des Heiligen Antlitzes von Manoppello: (a) vor der Korrektur der Verzerrung; (b) nach der Korrektur.

Darüber hinaus ist die anisotrope Komponente des FT von Abbildung 12a um etwa 2 ° zur vertikalen und horizontalen Achse gedreht, was bedeutet, dass das gesamte Bild leicht gedreht ist. Das FT des von der Deformierung korrigierten Bildes, gezeigt in Abbildung 12b, weist eine wesentliche Änderung des anisotropen Rotationskomponenten. In der  Tat heben wir (a) das Fehlen einer Drehung in Abbildung 12a hervor; und (b) eine verbleibende rechtwinklige Symmetrie, die direkt mit dem FT des Schleiergewebes zusammenzuhängen scheint, das nach der Korrektur der Deformierung rechteckig geworden ist, wie es vermutlich ursprünglich gewesen ist.

7. Fazit und zukünftige Arbeiten

Der Schleier von Manoppello ist ein einzigartiges Kunstwerk im Panorama der Geschichte der Kunst, die der Passion Christi gewidmet ist. Eine Analyse der wenigen experimentellen Daten, die über diese Ikone verfügbar sind, hat einige Aspekte des möglichen physikalischen Mechanismus verdeutlicht, der seinem ungewöhnlichen optischen Verhalten und der wahrscheinlichen Struktur des sie ausmachenden Stoffs zugrunde liegt. Es müsste sich um ein Leinenfasergewebe aus sehr dünnen Fäden (0,1 mm dick) handeln, die durch doppelte Abstände getrennt sind, sodass 42 % des Schleiers aus leerem Raum bestehen. Die Leinenfasern wurden wahrscheinlich mit Stärke gefestigt. Diese bestimmte Struktur würde es ermöglichen, dass sichtbares Licht durch die dünnen Leinenfäden durchscheinen kann. Diese Eigenschaft ermöglicht es uns, je nach Lichtverhältnissen und Betrachtungswinkel, leicht unterschiedliche Gesichter zu sehen. Im Besonderen kann der Schleier auch mit streifendem Licht betrachtet werden, das teilweise durch die durchscheinenden Fäden weitergeleitet wird. Die Zeichen der Passion, die rötlichen Details, die das Blut darstellen sollen, sind nur unter streifendem Licht gut sichtbar. Dies impliziert, dass die rötlichen Details des Bildes eine größere Tiefe in den Fasern aufweisen sollten als die anderen Farben, als ob das Heilige Antlitz nach den rötlichen Zeichen der Passion auf die Leinenfäden gedruckt wurde. Dies ist ein seltsames Ergebnis, da dies angesichts der Dünne der Fäden ziemlich schwierig zu realisieren gewesen sein muss.
        Die dünne Gewebestruktur hat im Laufe der Jahrhunderte zu mechanischen Deformierungen geführt, die offensichtlich auch das Bild des Heiligen Antlitzes verzerrt haben. In diesem Artikel haben wir das Bild digital restauriert, indem wir die Verzerrung der Fäden ausgeglichen haben. In einer zukünftigen Studie wird es möglich sein, mit der chromatischen Restauration des unverzerrten Bildes fortzufahren. Insbesondere sollte es möglich sein, das Heilige Antlitz, das sichtbar ist, wenn die Ikone mit Streiflicht beleuchtet wird, zu korrigieren, um den gelblichen Bestandteil zu beseitigen, der von dem Licht erzeugt wird, das durch die alten durchscheinenden Leinenfasern kreuzt. Darüber hinaus wird es möglich sein, die wahrscheinlich für die Realisierung der Ikone verwendete Technik zu untersuchen, indem man ihr Fourier-Leistungsspektrum analysiert. Natürlich können andere und zukünftige experimentelle Messungen (Raman, Röntgen, Ultraviolett, Infrarot) helfen, die tatsächliche chemische Zusammensetzung des Gewebes und der Farben des Schleiers zu klären.

Quelle: Heritage 2018, 1, 289"305; doi:10.3390/heritage1020019 www.mdpi.com/journal/heritage-

Autorenbeiträge: Das Schreiben und die Erörterung der Ergebnisse betraf alle Autoren. G.F. führte die optische Charakterisierung der Ikone durch.

Finanzierung: Diese Forschungsarbeit erhielt keine externe Finanzierung.

Danksagung: Die in dieser Arbeit analysierten Originalfotos des Heiligen Antlitzes (Abbildungen 2, 3, 6, 10. And 11) wurden von Paul Badde aufgenommen.

Interessenkonflikte: Die Autoren erklären keinen Interessenkonflikt.

Literaturnachweise

 

Bildanalyse und digitale Restauration des Schleiers von Manoppello, Prof. Fanti et al.

© 2018 by the authors. Licensee MDPI, Basel, Switzerland. This article is an open access article distributed under the terms and conditions of the Creative Commons Attribution (CC BY) license (http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/).

 

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