Gedanken zu den nicht mit Menschenhänden gemachten Bildern

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Neulich sah ich in einer Kirche die Spiegelung eines figürlichen Glasfensters in einer Glaswand, genauer durch eine gläserne Trennwand hindurch. Es schien, als ob das bunte Glasfenster noch einmal seitenverkehrt mitten im Raum der Kirche stehen würde. Was ist nun Realität, und was ist nur gespiegelter Schein?

Wie können sie voneinander unterschieden werden? Nur dadurch, daß ich versuche, das Bild zu ändern, und das kann ich nur mit dem wirklichen und nicht mit dem gespiegelten bewerkstelligen. Beides aber sind Bilder, eines wirklich, das andere nur Schein.
Wenn aber auf dem Computerbildschirm ein Bild erscheint, ist das wirkliche Bild kein Bild mehr, sondern eine Serie von Informationen, die ganz dicht auf einen Chip gepackt werden können. Die Wirklichkeit ist kein Bild. Die Projektion auf den Bildschirm ergibt erst das Bild.
Das Grabtuchbild ist auch eine Projektion. Die Wirklichkeit, aus der es einst entstanden ist, ist mir nicht mehr zugänglich. Jene Wirklichkeit ist aber eine lebendige Gestalt, an deren Realität ich nicht zu zweifeln vermag. Diese Figur ist eine Person, die eine furchtbare Geißelung, die Dornenkrönung, den Tod am Kreuz und einen Stich bis ins Herz erlitten hat und trotzdem lebt; sonst könnte sie gar nicht die Wirklichkeit für das projizierte Bild sein, die aber postuliert werden muß.
Das Bild ist geblieben wie eine Photographie auf einer lichtempfindlichen Schicht. Das Wunder hält sich durch, hält dauernd an, solange der materielle Träger nicht zerstört wird. Es handelt sich um ein Wunder, denn jede Projektion erfordert den Projizierenden, das zu Projizierende und die Steuerung der Projektion. Das Bild auf der Leinwand aber läßt nur einen gekreuzigten Toten erkennen, wenn auch einen Toten von geheimnisvoller Majestät. So bleibt aber immer die Frage nach dem zureichenden Grund für das projizierte und in der Leinwand festgehaltene Bild.
Hier scheiden sich die Geister: wer nicht glauben will oder meint, nicht glauben zu können, verzichtet auf jede weitere Erklärung. Wer wirklich an die leibliche Auferstehung Jesu glaubt, sieht in ihr die einzig mögliche Erklärung für das seltsame projizierte Bild im Tuch. Für ihn wird der Glaube an diesem Beispiel konkret.
Das Grabtuch von Turin ist somit das erste aller nicht mit Menschenhand gemachten Bilder. Es gibt aber noch weitere, und ihr Verhältnis zu ihm und untereinander ist nun genauer zu bestimmen, wie dies bisher geschehen ist.
Was ich auf dem Grabtuch zu sehen bekomme, sind in Wirklichkeit nur Flecken, genauer Schein. Nur das menschliche Auge kann das Gesamt dieser Flecken, und nur auf eine gewisse Entfernung, als das Bild eines Gekreuzigten in der Haltung eines Toten lesen, denn diese letztere Feststellung ist schon eine subjektive Interpretation des Fleckenbildes, und diese subjektive Interpretation unterliegt mannigfachen Vorbedingungen, die alle in dem jeweiligen Subjekt zu suchen sind.
Wenn ich keinen Lebenden erwarte, werde ich ganz von selbst dieses Bild als das eines Toten deuten. Mit anderen Worten, die Flecken auf dem Grabtuch halten einen Dialog mit uns: wie willst du uns deuten? Früher hat man diese Flecken auf dem Tuch, das heute in Turin aufbewahrt wird, immer als einen Abdruck gesehen. Dies war nicht nur eine falsche Deutung, sondern schlicht und einfach eine Sinnestäuschung, eine zu grobe Beobachtung. Alle Legenden, die vom wahren Christusbild als einem Abdruck sprachen, gehen letztlich auf diese Sinnestäuschung, die man angesichts des Grabtuches oder anderer Reliquien, die nicht mehr erhalten sind, machen konnte, zurück.
Es besteht aber mehr als eine große Wahrscheinlichkeit, daß die berühmte christologische Formulierung "Prägebild seiner Substanz", die wir am Anfang des Hebräerbriefes (1,3) finden, auf einer solchen fälschlichen Beobachtung aufruht. Gewöhnlich wird von keinem Schriftsteller etwas völlig frei erfunden, ohne jede Grundlage im sichtbaren Bereich.
Wir haben ein zweites Objekt, das ähnlicher Sinnestäuschung folgend, fast immer als ein Gemälde beschrieben wird: das Christusbild auf dem Schleier von Manoppello. Dieses Mal ist der materielle Träger, das Schleiertuch, nicht nur durchscheinend, sondern gänzlich durchsichtig. Ich entsinne mich noch, wie schwer es war, etwa P. Bulst, dem berühmten Grabtuchforscher, diesen Sachverhalt klarzumachen: eindeutig Bild und doch durchsichtig. Das scheint sich zu widersprechen. So sprechen viele, die noch nie die Reise nach Manoppello gemacht haben, nicht nur hypothetisch - das wäre allenfalls zulässig - von einem Gemälde.
Ohne viel Licht erscheint das Schleierbild in grauen Tönen, mit mehr Licht wird es bräunlich, dem Inkarnat eines Orientalen entsprechend, und manchmal erscheinen dann die Lippen hellrot auf, und ebenfalls die Blutspuren, die an der Stelle der Verwundungen der Dornenkrone zu erkennen sind. Es gibt noch weitere, wie altes Blut erscheinende Spuren auf dem feinen Tuch, die etwas dunkler bräunlich getönt sind. Wird das von hinten durchscheinende Licht zu stark, dann verschwindet das Bild fast gänzlich.
Das sind alles Beobachtungen, die jedermann vor dem Schleier von Manoppello machen kann. Nicht so einfach ist es, die richtigen Schlüsse aus diesen Beobachtungen zu ziehen und sich eine einheitliche Vorstellung von dem Ganzen zu machen. Bevor wir aber an diese delikate Arbeit gehen, ist erst noch etwas weiteres Wichtiges festzustellen: die perfekte Übereinstimmung des Antlitzes auf dem Schleier mit dem des Grabtuches von Turin.
Es war Schwester Blandina Paschalis Schlömer, die, in einem immer wieder erneuten Bemühen, die totale Übereinstimmung der beiden Antlitze nachgewiesen hat. Auch dieses nicht zu widerlegende Faktum ist man weder bereit zu akzeptieren, noch entsprechende, vor allem für die Theologie wichtige Schlüsse daraus zu ziehen.
Wir haben mit diesen beiden Antlitzbildern den einzigen konkreten Fall, der bisher bekannt geworden ist, der die von Augustinus grundgelegte, freilich sehr abstrakt formulierte Dreifaltigkeitstheologie illustrieren kann. Das Antlitz von Manoppello kommt von dem des Grabtuches her, wie der Sohn vom Vater, und das sich aus dem perfekten Übereinanderlegen ergebende dritte Bild kommt von beiden her, wie der Geist vom Vater und vom Sohn. Wir können jetzt so formulieren, daß das Geheimnis der Dreifaltigkeit in der perfekten Übereinstimmung zwischen Vater und Sohn besteht. "Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen." (Joh. 14,9)
Es gibt noch zwei Bilder wunderbarer Entstehung, deren Technik niemand erklären kann und deren exakte Beschreibung nicht einfach ist. Es sind zwei Marienbilder, die erst Jahrhunderte, mehr als ein Jahrtausend nach Christi Geburt entstanden sind, das Bild der Mutter Gottes von Guadelupe in Mexiko und das Bild Mariens in Absam in Tirol.
Das Bild der Madonna von Guadelupe sieht wie ein Gemälde aus, ist es aber nur zum Teil, das Bild von Absam wie eine Ätzung auf der Glasoberfläche einer Fensterscheibe, ist aber in Wirklichkeit nicht an der Oberfläche der Scheibe, sondern in ihrem Innern entstanden, so als ob das Bild in die Mitte der Dicke der Scheibe hineingezaubert worden wäre, wie ein Dia zwischen zwei Scheiben eingefügt wird. Hier handelt es sich aber um eine einzige Scheibe.
Beide Bilder sind in schweren Kriegszeiten entstanden, und beide sollten in erster Linie, in göttlicher Perspektive, das einfache Volk trösten, das unter den Folgen je eines schrecklichen Kriegszuges zu leiden hatte. Nach dem einzigen Bericht über die Entstehung des mexikanischen Wunderbildes, dem in Nahuatl, der Sprache der Azteken verfaßten "Nikan Mopohua", soll das Ereignis der wunderbaren Bildentstehung zehn Jahre nach der schrecklichen, blutigen Eroberung von Tenochtitlan, dem heutigen Mexiko, geschehen sein.
Das Wunderbild von Absam ist im Jahre 1797, in der Zeit der napoleonischen Kriegswirren, unvermittelt und plötzlich in einer Fensterscheibe vor einem Bauernmädchen erschienen und in dieser Scheibe bis zum heutigen Tage geblieben . Das grau getönte, nur 17 cm hohe Bild erscheint wie ein Schwarz-Weiß-Dia und wechselt je nach Standort vom Positiv zum Negativ. In seiner Durchsichtigkeit ist es mit dem Schleier von Manoppello zu vergleichen.
Das Marienbild von Guadelupe hat eine sehr bewegte Geschichte durchgemacht, die heute nur noch dem Teil zu erhellen ist. Nach dem Nikan Mopohua ist es im Jahre 1531 auf der Tilma, dem aus Agavenfasern gewebten Gewand des am 31. Juli 2002 heiliggesprochenen Indio Juan Diego erschienen, und zwar als Beweis für den authentischen Auftrag, den Maria über diesen Indio dem Bischof Zumarraga von Mexiko gegeben hat, nämlich am Erscheinungsort, ihr eine Kapelle zu errichten.

Prof. Dr. Heinrich Pfeiffer SJ

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